Berlin, 20.05.2025
Eine aktuelle Auswertung der im VBRG e.V. zusammengeschlossenen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, zeigt, dass die Gewaltbereitschaft von Mandatsträger*innen und Funktionär*innen der AfD sowie deren Anhänger*innen seit mehreren Jahren zunimmt. Die Angegriffenen sind nach Gewalttaten durch AfD-Funktionär*innen und Sympathisant*innen besonders belastet. Denn sie wissen, dass die Täter*innen von einem breiten Unterstützer*innen-Netzwerk und der Logistik einer rechtsextremistischen Partei profitieren.
In vielen Fällen fühlen sich die Betroffenen zudem vom Rechtsstaat im Stich gelassen: Die über Jahre verschleppten Strafverfahren, Erfahrungen von Täter-Opfer-Umkehr und eingeschränkte Rechtsmittel sowie Entpolitisierung und Verharmlosung der Angriffsfolgen durch Staatsanwaltschaften und Justiz entmutigen Betroffene und schwächen ihr Sicherheitsgefühl und ihr Vertrauen in den Rechtsstaat.
Die nachfolgenden Fallbeispiele zeigen: Die Sicherheit vieler Menschen ist sowohl durch die Beteiligung von AfD-Funktionär*innen an mutmaßlich rechtsterroristischen Netzwerken wie den Sächsischen Separatisten oder Netzwerk der Patriotischen Union als auch unmittelbar durch direkte Angriffe von gewalttätigen AfD-Funktionär*innen und Sympathisant*innen der rechtsextremen Partei massiv beeinträchtig.
Zielgruppen: Journalist*innen, demokratisch Engagierte und Rassismusbetroffene
Hauptsächliche Zielgruppen von gewalttätigen Angriffen durch AfD-Funktionär*innen und Mitglieder der rechtsextremen Partei sind Menschen, die an Protesten gegen Rechtsextremismus und gegen AfD-Versammlungen teilnehmen sowie Journalist*innen und von Rassismus Betroffene, Abgeordnete und Vertreter*innen demokratischer Parteien.
Fehlender Schutz des Rechtsstaats für die Angegriffenen, überlange Verfahrensdauern und rechtsextreme Täter-Opfer-Umkehr
Die Angegriffenen fühlen sich in vielen Fällen vom Rechtsstaat im Stich gelassen. Als Opferzeug*innen und Nebenkläger*innen sind durch überlange Verfahrensdauern, Entpolitisierung von Angriffen und rechtsextreme Täter-Opfer-Umkehr sowie oftmals erhebliche Kosten belastet. Die Täter*innen zeigen vor Gericht in der Regel keine Reue, sondern inszenierten sich als Opfer und berufen sich auf vermeintliche Notwehr. Häufig profitieren sie auch von den überlangen Verfahrensdauern. Die Angegriffenen haben dagegen nur eingeschränkte rechtliche Möglichkeiten.
Beispielfälle aus dem unabhängigen Monitoring der im VBRG zusammengeschlossenen Opferberatungsstellen zeigen die langen Verfahrensdauern und die Gewaltbereitschaft von AfD-Funktionär*innen und Anhänger*innen:
Einige Fallbeispiele seit Jahresbeginn 2025
- Schleswig-Holstein, April 2025
Mehrjährige Haftstrafe für ehemaliges AfD-Mitglied fast fünf Jahre nach schweren Angriff auf Antifaschist*innen rechtskräftig
Viereinhalb Jahre nach einem Angriff auf vier antifaschistische Demonstrant*innen in Henstedt-Ulzburg im Oktober 2020 bestätigte der Bundesgerichtshof im April 2025 die Verurteilung des Angreifers zu einer dreijährigen Haftstrafe. Die antifaschistischen Demonstrant*innen waren teilweise schwer verletzt worden, als das damalige AfD-Mitglied im Oktober 2020 in Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein) mit einem tonnenschweren SUV Pick-Up in mehrere Gegendemonstrant*innen hineinfuhr, die zuvor an einer Protestkundgebung gegen eine AfD-Veranstaltung teilgenommen hatten.
Im Dezember 2023 hatte das Landgericht Kiel den inzwischen 25-jährigen Angreifer, der zum Tatzeitpunkt AfD-Mitglied war, wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.
Quellen: u.a. Podcast „Vor Ort“ #46: Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg
2. Bayern, Februar 2025
Angriff auf Gegenprotest
Bei einer Protestkundgebung gegen einen monatlichen AfD-Stammtisch, der vom AfD-Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß in einer Gaststätte in Itzlings (Landkreis Lindau (Bodensee)) organisiert wurde, kommt es am 4. Februar 2025 zunächst zu Provokationen und Rangeleien. Dann greifen Anhänger*innen der AfD einige Protestierende an.
Ein verletzter Teilnehmer des Gegenprotestes erstattet Strafanzeige gegen ein Vorstandsmitglied des AfD-Kreisverbands wegen gefährlicher Körperverletzung nach Fausthieben, Fußtritten und einem Angriff mit einem Reizspray. Nach dem Angriff brachte die AfD ein Banner mit der Aufschrift „Wir vergessen nicht“ am Ortsausgang an.
Quelle: Allgäuer Zeitung
3. Brandenburg, Februar 2025
Angriff durch AfD-Ortsvorsitzenden auf Gegendemonstranten
Nachdem mehrere Passant*innen ihren Unmut über die Präsenz eines Wahlkampfstands der AfD am 12. Februar 2025 im Stadtteil Borgsdorf von Hohen Neuendorf (Brandenburg) zum Ausdruck gebracht hatten, kommt es zu einem Angriff durch den AfD-Ortsvorsitzenden. Auf einem 19 Sekunden langen Video ist zu sehen, wie der AfD-Funktionär einen Mann vom Wahlkampfstand so massiv wegstößt, dass der Mann zu Boden geht. Als es dem Angegriffenen gelingt, sich wieder aufzurappeln, wird er von dem AfD-Funktionär erneut zu Boden gestoßen. Bis zur Veröffentlichung des Videos hatte die AfD gegenüber Öffentlichkeit, Medien und Polizei behauptet, der Wahlkampfstand sei angegriffen worden.
Quellen: Märkische Allgemeine, 14.02.2025 / Filmsequenz
4. Brandenburg, Februar 2025
Angriff auf Gegendemonstranten nach AfD-Wahlkampfveranstaltung
Im Anschluss an zwei Gegenkundgebungen gegen eine AfD-Wahlkampfveranstaltung auf dem Marktplatz von Templin (Brandenburg) am 9. Februar 2025 ermittelt die Polizei gegen eine Gruppe neonazistischer Jugendlicher wegen Bedrohung und Körperverletzung. Einige aus der Gruppe sollen Teilnehmende einer nicht-rechten Gegenkundgebung bedroht und verfolgt haben: Einer der Betroffenen wurde getreten, erhielt einen Schlag gegen den Kopf und musste vor den Neonazis in einem Drogeriegeschäft Zuflucht suchen.
Quelle: Tagesspiegel, 09.02.2025
5. Niedersachsen, Februar 2025
Gegendemonstrantin erstattet Strafanzeige nach Angriff durch AfD-Landtagsabgeordneten
Eine 73-jährige Teilnehmerin der Gegenkundgebung „Protest gegen die AfD und den möglichen Fall der Brandmauer“ erstattet im Anschluss an eine AfD-Wahlkundgebung in Gifhorn (Niedersachsen) Strafanzeige gegen den AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Marzischewski-Drewes wegen Körperverletzung. Die gehbehinderte Rentnerin war nach Angaben des Bündnis „Bunt statt Braun“ von dem AfD-Mandatsträger gegen eine Hauswand gedrückt und gewürgt worden. Die AfD behauptete, die Rentnerin habe eine Papierfahne der rechtsextremen Partei zerstört.
Quelle: Braunschweiger Zeitung
6. Brandenburg, Januar 2025
Teilnehmende am Auschwitz-Gedenktag von AfD-Stadtratsverordneten bedroht
Nach dem Ende der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 2025 werden Teilnehmende des Gedenkens in Strausberg (Brandenburg) von drei Vertreter*innen der AfD-Stadtratsfraktion zunächst verbal provoziert und dann von einem AfD-Stadtratsverordneten mit einem Klappmesser bedroht. Die antifaschistischen Kundgebungsteilnehmer*innen flohen in ein nahegelegenes Seniorenheim, dessen Leiter die Polizei alarmierte. Schon während der Gedenkveranstaltung war es mehrfach zu Störungen u.a. aus dem Kreis der AfD-Stadtverordneten gekommen.
Quelle: VVN-BDA MOL, 27. Januar 2025
7. Bayern, Januar 2025
Drohschreiben gegen AfD-Kritiker nach rechtsextremer Kampagne
Zwei Kreistagsabgeordnete von Grünen und SPD im Kreistag Ostallgäu (Bayern), die u.a. in der Flüchtlingshilfe und Initiativen für Demokratie aktiv sind sowie der Sprecher des „Bündnis für Demokratie und Solidarität“ in Füssen, erhalten Ende Januar 2025 – zum wiederholten Mal – anonyme Drohbriefe an ihre Privatadresse. Der Inhalt: AfD-Werbematerial mit der Aufschrift „Zeit für den Flieger. Zeit für Deutschland.“ Die Betroffenen sehen darin eine massive Bedrohung und einen gezielten Einschüchterungsversuch, da sie für ihre öffentliche Kritik an der AfD bekannt sind und die Handschrift des Drohbriefabsenders gleichbleibend ist. Der SPD-Kreistagsabgeordnete war schon zu Jahresbeginn 2024 Ziel einer Kampagne der örtlichen AfD, nachdem er als Lehrer an einem Gymnasium im Anschluss an die Veröffentlichung von Recherchen des Medienhauses correctiv über rassistische Abschiebepläne der rechtsextremen Partei seine Schüler*innen dazu aufgefordert hatte, für Menschenrechte und Demokratie einzustehen. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt gegen Unbekannt wegen Bedrohung.
Quellen: BR24
8. Bayern, Januar 2025
AfD-Landtagsabgeordneter wegen Verstoß gegen Versammlungsgesetz am Rand von Gegenkundgebung verurteilt
Vier Jahre, nachdem der AfD-Landtagsabgeordnete Rene Dierkes bei einem Auftritt von Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) in Weilheim mit einem Pfefferspray von Polizisten kontrolliert worden war, bestätigte das Landgericht München die erstinstanzliche Verurteilung wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und erhöhte die Geldstrafe auf 3.600 Euro. Dierkes hatte im August 2023 Schlagzeilen gemacht, als er auf Facebook ein Kopfgeld auf die Identifizierung einer Antifa-Aktivistin ausgelobt und ein Foto der Betroffenen geteilt hatte. Der AfD-Abgeordnete und Rechtsanwalt hatte vor Gericht behauptet, er habe sich lediglich zum Fotografieren am Rand einer Bündnis-Kundgebung gegen eine AfD-Veranstaltung mit dem damaligen AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alexander Gauland am 17. September 2021 in Weilheim aufgehalten. Dierkes war deshalb in erster Instanz im April 2022 wegen Verstoß gegen das Bayerische Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 80 Euro verurteilt worden. Der Beschuldigte legte Rechtsmittel ein. Weil Dierkes eine Woche vor dem zunächst für Dezember 2023 angesetzten Berufungstermin als Abgeordneter der AfD in den bayrischen Landtag einzogen war, war die Hauptverhandlung verschoben worden. Auch gegen das zweitinstanzliche Urteil hat Dierkes Rechtsmittel eingelegt.
Quellen: t-online.de; Süddeutsche Zeitung, Süddeutsche Zeitung
Weitere Informationen und Kontakt:
Für den VBRG e.V.: Heike Kleffner, E-Mail: info@verband-brg.de
Noch mehr Vorfälle aus dem Jahr 2024 finden Sie im nachfolgenden Dokument.