Zum Prozessbeginn wegen Neonazi-Brandanschlag in Bremen: Nebenklagevertretung und Opferberatung kritisieren: Ermittlungsbehörden ignorierten mögliches rechtsterroristisches Tatmotiv
Nebenklagevertretung und Betroffenenberatung soliport fordern die umfassende Aufklärung der Gewalttat, die Aufarbeitung der gravierenden Ermittlungsfehler und die angemessene Berücksichtigung des möglichen rechtsterroristischen Tatmotivs im Prozess
Bremen/Berlin, den 15.1.2025
In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2020 wurde während eines Konzerts ein Brandanschlag auf das alternative Jugendzentrum „Friese“ im Bremer Steintor-Viertel verübt. Über 30 Besucher*innen waren durch den Anschlag gefährdet, wurden teilweise verletzt und leiden bis heute an den psychischen Folgen. Eine der Geschädigten hat sich der Anklage als Nebenklägerin angeschlossen.
Am kommenden Donnerstag, den 16. Januar 2025 beginnt nun fast fünf Jahre später am Bremer Landgericht der Prozess gegen drei Neonazis. Die Hauptverhandlungstermine können Sie der Pressemitteilung des Landgerichts entnehmen.
Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten, die Verbindungen in die militante rechtsextreme Szene – unter anderem zur Partei DIE RECHTE und dem im November 2019 verbotenen Neonazi-Verein „Phalanx18“[1] – , schwere Brandstiftung und gefährliche Körperverletzung vor.
In der Brandnacht wurden vor Ort Aufkleber der NPD-Nachfolgepartei DIE RECHTE sowie einer weiteren rechtsextremen Gruppe gefunden. Damit stand schon unmittelbar nach der Tat fest, dass diese politisch motiviert war.
„Dennoch wurden die Ermittlungen in der wichtigen Phase unmittelbar nach der Tat mit wenig Eifer geführt. Obwohl die Ermittlungsbehörden schon zu Beginn konkrete Hinweise auf einen der heutigen Angeklagten erhielten, hatte dies zunächst keinerlei Konsequenzen“, sagt Rechtsanwältin Lea Voigt, die gemeinsam mit Rechtsanwalt Nils Dietrich die Nebenklägerin in dem Prozess vertritt.
Nebenklagevertretung fordert die Aufarbeitung der gravierenden Ermittlungsfehler
Erst anderthalb Jahre nach dem Anschlag sei es zu Hausdurchsuchungen bei den nun Angeklagten gekommen, kritisieren die Nebenklagevertreter*innen. Dabei seien bei mindestens einem Angeklagten offensichtliche Hinweise auf eine Verbindung zu dem in Deutschland verbotenen militanten Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“ gefunden worden.
„Angesichts der Funde in der Wohnung des Mannes muss man davon ausgehen, dass er mit dem Prinzip des sog. „führerlosen Widerstands“ sympathisiert, das u. a. die ideologische Grundlage der Mord- und Anschlagsserie des NSU-Netzwerks bildet. Wir können aber nicht erkennen, dass von den Ermittlungsbehörden jemals ein rechtsterroristisches Motiv für den Brandanschlag in Betracht gezogen wurde. Spätestens nach der Wohnungsdurchsuchung musste sich ein solches Motiv aber aufdrängen. Die Polizei hat das Gros der Neonazi-Propaganda, die sich bei dem Angeklagten in Hülle und Fülle fand, noch nicht einmal als Beweismittel beschlagnahmt. Auch Hinweisen auf eine Bewaffnung des Mannes scheint nicht weiter nachgegangen worden zu sein“ betonen die Vertreter*innen der Nebenklage.
Ermittelt hat die Fachdienststelle des Landeskriminalamts für politische Straftaten (polizeilicher Staatsschutz) in Bremen.
„Wir gehen davon aus, dass diese Beamten über eine besondere Expertise verfügen. Dass man trotzdem über handfeste Hinweise auf ein rechtsterroristisches Motiv einfach hinweggeht, wirft Fragen auf. Auch die vielen anderen handwerklichen Fehler bei den Ermittlungen und die vielen Phasen der Untätigkeit der Ermittlungsbehörde, die in der Hauptverhandlung noch im Einzelnen zu erörtern sein werden, erscheinen vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht,“ erklären die Nebenklagevertreter*innen.
Gegenüber der Öffentlichkeit bestritten die Ermittlungsbehörden auch die Schwere der Tatfolgen: So wurde in einer Pressemitteilung der Polizei wahrheitswidrig behauptet, es habe keine Verletzten durch den Brandanschlag gegeben. Trotz entsprechender Hinweise der Nebenklage und der anders lautenden Anklage wurde die Pressemitteilung der Polizei bis heute nicht korrigiert, vgl. https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/35235/5028096.
Betroffenenberatung und Nebenklägerin: „Betroffene wurden im Stich gelassen“
„Fünf Jahre mussten wir dafür kämpfen, dass wir ernstgenommen werden, was unglaublich viel Zeit und Energie gekostet hat,“ sagt die Nebenklägerin und betont: „So darf das einfach nicht laufen“. Auch die Betroffenenberatung soliport betont die massive Belastung durch die schleppenden und defizitären Ermittlungen.
„Bei den Betroffenen entstand der Eindruck, als würden die Ermittlungsbehörden die Tragweite des Anschlags und das rechte Motiv verharmlosen“, so eine Sprecherin der Betroffenenberatung soliport. „Der Rechtsstaat lässt Betroffene rechter Gewalt im Stich. Wir fordern, dass den Hinweisen auf ein rechtsterroristisches Tatmotiv nun endlich nachgegangen wird.“
Rechtsextrem, rassistisch und antisemitisch motivierte Brandanschläge sind als Botschaftstaten oft mit gravierenden Konsequenzen für eine zumeist größere Anzahl an Betroffenen verbunden. Nur durch das schnelle Reagieren der Anwesenden konnte im Fall der „Friese“ Schlimmeres verhindert werden. Die „Friese“ war im Juli 2021 erneut Zielscheibe rechter Gewalt. Mitarbeitende erhielten einen rechten Drohbrief mit einem erst später als ungefährlich identifizierten Pulver.
VBRG und Betroffenenberatung: „Straflosigkeit bei rechter Gewalt muss aufhören.“
„Rechte Brandanschläge haben oft keine strafrechtlichen Konsequenzen und erschreckend hohe Einstellungsquoten. Der Gerichtsprozess wegen des Brandanschlags auf die „Friese“ ist daher eine seltene und wichtige Gelegenheit, rechtsmotivierte Gewalt strafrechtlich aufzuarbeiten“, sagt die Betroffenenberatung.
Lediglich 10 bis 15 Prozent aller Täter*innen werden überhaupt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
Der Brandanschlag auf das Jugendzentrum „Friese“ gehört zu einer Serie von mindestens drei weiteren mutmaßlich rechten und rassistischen Brandanschlägen in Bremen und Umgebung zwischen Februar und Oktober 2020 und ist der einzige, bei dem es überhaupt zu einem Strafprozess kommt.
Nach den mutmaßlich rassistisch motivierten Brandanschlägen auf migrantisch geführte Restaurants, Bars und Imbisse u.a. am 13. Februar 2020 in Syke, im Juli 2020 in Gnarrenburg und im Oktober 2020 in Ganderkesee sind die Ermittlungen jeweils ergebnislos eingestellt worden, weil Tatverdächtige nicht ermittelt werden konnten.
Der Brandanschlag in Bremen reiht sich zudem ein in eine bundesweite Eskalation von Neonazi-Gewalt gegen Menschen, die als politische Gegner*innen markiert werden. „Der Prozess in Bremen ist von bundesweiter Bedeutung“, betont deshalb der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. .
Hintergrund zum Ausmaß von politisch rechts motivierten Brandanschlägen:
„Es gibt eine gravierende Erfassungs- und Anerkennungslücke beim realen Ausmaß politisch rechts motivierter Brandanschläge,“ betont der VBRG. Während das BKA in den Jahren 2020 bis 2023 von 44 PMK Rechts motivierten Brandanschlägen ausgeht, haben die Opferberatungsstellen im VBRG im gleichen Zeitraum 110 rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Brandanschläge registriert: (2020: 22 VBRG/17 BKA; 2021: 35 VBRG/ 5 BKA; 2022: 28 VBRG/ BKA 13; 2023: 25 VBRG / 9 BKA). Für das Jahr 2024 hat das BKA bislang 13 PMK Rechts Brandanschläge bekannt gegeben (Antwort auf BT-Drs: 20/14420).
Hintergrund zum Ausmaß von Straflosigkeit bei politisch rechts motivierten Brandanschlägen:
„Die hohe Einstellungsquote bei rechts motivierten Brandanschlägen ist besorgniserregend“, betont der VBRG. Die Kriminologin Jana Berberich hat in einer wissenschaftlichen Untersuchung Akten von Polizei und Justiz nach rassistischen und rechten Brandanschlägen in den Jahren 2015 bis 2017 in Nordrhein-Westfalen und Sachsen ausgewertet. Ihr Befund von Einstellungsquoten zwischen 91 Prozent in Nordrhein-Westfalen und 84 Prozent der Ermittlungsverfahren in Sachsen zeigt, dass diese noch höher sind als in den 1990er Jahren. Lediglich 10 bis 15 Prozent aller Täter*innen werden überhaupt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. „Die Kultur der Straflosigkeit und die Entstehungsbedingungen für weiteren rechten Terror werden dadurch fortgesetzt“, warnt der VBRG. „Die hohe Einstellungsquote bei rechts motivierten Brandanschlägen ist besorgniserregend, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Einzelfällen naheliegende Ermittlungsschritte – wie etwa Zeugenbefragungen von polizeibekannten Neonazis aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Tatorten – nicht stattfanden.“
Hinweis zur Bildberichterstattung:
Wir weisen darauf hin, dass die Nebenklägerin nicht fotografiert und nicht namentlich (auch nicht mit abgekürztem Nachnamen) in den Medien genannt werde möchte. Schon aus Sicherheitsgründen bitten wir darum, dies zu respektieren. Für Interviews vor Ort stehen Ihnen die Nebenklage-Vertreter*innen Rechtsanwältin Lea Voigt und Rechtsanwalt Nils Dietrich zur Verfügung.