Neonazi-Brandanschlag auf das Bremer Jugendzentrum „Friese“: Urteilsverkündung am Landgericht Bremen am 22. Mai 2025 erwartet
Pressemitteilung der Beratungsstelle „soliport – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Bremen“ und des bundesweiten Dachverband VBRG e.V.
Bremen & Berlin, 19.05.2025
„Es war ein rechtsterroristischer Anschlag mit einschneidenden Folgen.“
Nebenklagevertretung und Opferberatung kritisieren Ermittlungsfehler und fordern Aufarbeitung
In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2020 wurde während eines Konzerts ein Neonazi-Brandanschlag auf das Jugendzentrum „Friese“ im Bremer Steintor-Viertel verübt. Über 30 Besucher*innen waren durch den Anschlag gefährdet. Einige Besucher*innen wurden verletzt und leiden bis heute an den psychischen Folgen. Eine der Geschädigten hat sich der Anklage als Nebenklägerin angeschlossen. Fünf Monate dauerte die Verhandlung wegen schwerer Brandstiftung vor dem Landgericht Bremen gegen drei Angeklagte mit eindeutigen Bezügen zu militanten Neonazi-Gruppierungen in Bremen und Niedersachsen. Das Urteil wird am 22. Mai 2025 erwartet. Die Staatsanwaltschaft fordert für den Hauptangeklagten eine Haftstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten wegen schwerer Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und versuchter gefährlicher Körperverletzung in 30 Fällen. Für die beiden weiteren Angeklagten beantragt die Staatsanwaltschaft Bewährungsstrafen zwischen 19 und 24 Monaten wegen Beihilfe.
Die Staatsanwaltschaft betonte in ihrem Plädoyer das rechte Tatmotiv der Brandlegung. Die Betroffenen hatten den Brandanschlag bereits in der Tatnacht als Botschaftstat von Neonazis erkannt, nachdem sie Aufkleber der rechtsextremen Partei DIE RECHTE am Tatort vorfanden.
Betroffenenberatung und Nebenklagevertretung kritisieren das Verhalten der Ermittlungsbehörden
Im Prozess blieben viele Fragen zum Vorgehen des Polizeilichen Staatsschutzes in Bremen ungeklärt, das von langen Phasen von Untätigkeit sowie anderen Versäumnissen gekennzeichnet war. Trotz konkreter Hinweise durch Zeug*innen und zivilgesellschaftliche Recherchen auf mindestens zwei der Angeklagten kurz nach der Tat führte die Polizei erst im Sommer 2021 – mehr als anderthalb Jahre nach der Tat – Hausdurchsuchungen bei den Verdächtigten durch. Bei der Durchsuchung der Wohnräume vom Hauptangeklagten wurde NS- und Rechtsterrorismus-Propaganda gefunden: u.a. Bilder von Adolf Hitler, das Buch „Mein Kampf“, Reichskriegsflaggen, das rechtsterroristische Manifest „Der Weg Vorwärts“ des verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood&Honour sowie mit dem eingeritzten Schriftzug „Danke Uwe“ eine Glorifizierung des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Die Propagandamaterialien wurden bei der Durchsuchung nicht beschlagnahmt, obwohl sie Beweismittel für die Tatmotivation des Brandanschlags sind. Auch ermöglichte das unprofessionelle Vorgehen der Polizei bei der Durchsuchung dem Hauptangeklagten, sein Mobiltelefon verschwinden zu lassen, sodass es für die Ermittlungen nicht ausgewertet werden konnte.
„Die zögerlichen und unprofessionellen Maßnahmen des Staatsschutzes senden ein fatales Signal an alle Betroffenen rechter Gewalt: Der Rechtsstaat schützt euch nicht. Ermittlungsbehörden erkennen die rechtsterroristische Gefahr nicht oder nehmen sie nicht ernst“, kritisiert die Betroffenenberatung soliport. „Auf das Gefährdungspotenzial eines Neonazis mit Zugang zu Waffen und Hinweise auf eine rechtsterroristische Motivation wurde nicht adäquat reagiert.“ Lea Voigt, Anwältin der Nebenklägerin sagt: „Die Polizei hat meiner Mandantin und den weiteren Betroffenen über Jahre das Gefühl vermittelt, dass ihr der Fall egal ist. Und dies, obwohl es vorher bereits eine Serie rechter Brandstiftungen bis heute unbekannte Täter im Bremer Umland gab. Damit steht der Staatsschutz in einem extrem schlechten Licht da.“
Nebenklage und Betroffene: „Es geht um Rechtsterrorismus“
Die Ergebnisse von Telekommunikations- und Fahrzeug-Innenraumüberwachung sowie die Funde bei der Hausdurchsuchung beim Hauptangeklagten verdeutlichen die mörderische rechte Ideologie der Angeklagten. In Gesprächen und Chats äußern sie Gewaltfantasien gegen als politische Gegner*innen markierte Personen und Orte, beschreiben rassistische Tötungsvorhaben und sprechen davon, sich rechtsterroristischen Gruppen anschließen zu wollen. Eine der vom Brandanschlag betroffenen Personen stellt fest: „Der Prozess hat bestätigt, was wir die ganze Zeit befürchtet haben: Es war ein rechtsterroristischer Anschlag. Es ist gleichzeitig unfassbar und doch unmittelbar. Die Folgen sind bis heute einschneidend“.
Die Angeklagten hatten ihre Einbindung in die Neonazi-Szene in der Hauptverhandlung immer wieder heruntergespielt und sich teilweise als „geläutert“ bezeichnet. „Diese halbherzigen Versuche dürften aber auch das Gericht nicht überzeugt haben. Denn die erst rund zwei Jahre nach der Tat durchgeführte Telefonüberwachung hat das rassistische, neonazistische Weltbild der Angeklagten in bedrückender Klarheit gezeigt“, sagt Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Nils Dietrich.
Engagement der Nebenklage ausschlaggebend für Kenntnisse zur rechten Tatmotivation
„Ohne das Engagement der Nebenklage wäre vieles einfach unter den Tisch gefallen. Das gilt sowohl für die langen fünf Jahre vor Prozessbeginn als auch für Erkenntnisse im Prozess selbst“, betont die Betroffenenberatung soliport.
Nur der Beharrlichkeit der Nebenklage ist es zu verdanken, dass die Einbettung der Angeklagten in Neonazi-Strukturen – u.a. auch Verbindungen in die bundesweit vernetzte Braunschweiger Neonazi-Szene – sowie ihre rechtsterroristischen militanten Ideologien als Tatmotiv für den Brandanschlag im Februar 2020 wenigstens ansatzweise herausgearbeitet werden konnten. „Es ist ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat, dass ausschließlich die Nebenklage so eine umfassende Aufarbeitung der Motivlage sichergestellt hat“, sagt die Betroffenenberatung und betont: „Für Betroffene war dieser Prozess am Landgericht Bremen eine große Herausforderung. Die Wahrnehmung des Rechts auf Nebenklage und die Konfrontation mit den Tätern vor Gericht ist belastend und erfordert immens viel Zeit, Mut und Stärke“. Eine betroffene Person sagt: „Es gibt ein Davor und ein Danach. Der Prozess selbst und die fünf Jahre bis dahin haben extrem viel Anstrengung gekostet und waren re-traumatisierend. Wir mussten feststellen, dass Strafverfolgung nur in Gang kommt, wenn wir als Betroffene rechter Gewalt selbst aktiv werden“.
Bislang keine Konsequenzen nach den Ermittlungsfehlern des Staatschutzes
„Derart massive Ermittlungsfehler dürfen sich nicht wiederholen. Es braucht dringend eine zeitnahe fachliche Aufarbeitung in den zuständigen Behörden und innerhalb der Justiz. Die Behörden müssen konkrete Verantwortung für das Fehlverhalten übernehmen und ihre Praktiken zukünftig verändern“, fordert die Betroffenenberatung soliport. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.) ergänzt: „Zeitnah geführte Ermittlungen, z.B. bei ortsbekannten Neonazis, machen es wahrscheinlicher, dass Täter*innen identifiziert und rechte Tatmotive nachgewiesen werden können. Im Umkehrschluss heißt das: Dort, wo Ermittlungen verschleppt werden, breitet sich die Straflosigkeit bei rechter bzw. rechtsterroristischer Gewalt aus. Straflosigkeit sendet immer auch ein Signal an die Täter*innen, dass sie sich sicher fühlen können, und begünstigt Nachahmungstaten. Zugleich wird den Betroffenen rechter Gewalt der Zugang zu ihren Rechten erschwert.“
Das Vorgehen der Behörden hatte unter anderem auch Effekte auf den Umgang mit dem Brandanschlag innerhalb der Stadtgesellschaft: „Als Jugendzentrum „Friese“ haben wir uns über weite Strecken von der Politik alleine gelassen gefühlt. Ein Ende der Sprachlosigkeit und eine unmissverständliche Solidaritätsbekundung der Einrichtung gegenüber hätten sich die engagierten Menschen im Haus auf breiter Ebene gewünscht“, sagen betroffene Vertreter*innen der „Friese“.
Angriff auf die „Friese“ reiht sich in rechte Brandanschläge im Bremer Umland ein und markiert den Beginn einer bundesweiten Reihe von rechten Angriffen auf soziokulturelle Zentren
Der Brandanschlag auf das Jugendzentrum „Friese“ gehört zu einer Serie von mindestens drei weiteren mutmaßlich rechten und rassistischen Brandanschlägen in Bremen und Umgebung zwischen Februar und Oktober 2020 und ist der einzige, bei dem es überhaupt zu einem Strafprozess gekommen ist. Nach den mutmaßlich rassistisch motivierten Brandanschlägen auf migrantisch geführte Restaurants, Bars und Imbisse u.a. am 13. Februar 2020 in Syke, im Juli 2020 in Gnarrenburg und im Oktober 2020 in Ganderkesee sind die Ermittlungen jeweils ergebnislos eingestellt worden, weil Tatverdächtige nicht ermittelt werden konnten. Bundesweit haben sich Neonazi-Angriffe und rechte Anschläge auf soziokulturelle Zentren, Kultur- und Wohnprojekte zwischen 2020 und 2025 nahezu verdoppelt. Oftmals nehmen die Täter schwerste Tatfolgen für Betroffene in Kauf – wie etwa bei Brandanschlägen in Aschaffenburg (Bayern) im März 2024 oder Alt-Döbern (Brandenburg) im September 2024.
Hinweis zur Bildberichterstattung:
Wir weisen darauf hin, dass die Nebenklägerin nicht fotografiert und nicht namentlich (auch nicht mit abgekürztem Nachnamen) in den Medien genannt werde möchte. Schon aus Sicherheitsgründen bitten wir darum, dies zu respektieren. Für Interviews vor Ort stehen Ihnen die Nebenklage-Vertreter*innen Rechtsanwältin Lea Voigt und Rechtsanwalt Nils Dietrich zur Verfügung.
Kontakt und Presseinformationen:
VBRG e.V. – Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V.
Web: www.verband-brg.de
E-Mail: info@verband-brg.de
Tel. 030 – 33859577
soliport – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Bremen
Web: soliport.de
E-Mail: info@soliport.de
Tel. 0421 – 17831212