Mindestens zwei rechts motivierte Angriffe auf Journalist:innen pro Monat: Diese erschreckende Bilanz der Opferberatungsstellen für das Jahr 2023 spiegelt nur einen Ausschnitt aus der Bedrohungen, die Medienschaffende erleben. Um die Ausweitung der Gefahrenzonen für Journalist:innen geht es bei der Veranstaltung des Schutzkodex-Bündnis am 21. Juni um 12:30 Uhr im Publix unter dem Motto: „Journalismus unter Druck – Wie stärken und schützen wir die vierte Gewalt?“
Pro Monat haben die Opferberatungsstellen in 2023 durchschnittlich mindestens zwei bis drei rechte Angriffe und Bedrohungen gegen Journalist:innen und Medienschaffende in elf Bundesländern registriert. So wurde beispielsweise ein Journalist der Ostthüringer Zeitung (OTZ) bei einer AfD-Veranstaltung am 16. November 2023 in Plothen im Saale-Orla-Kreis (Thüringen) von AfD-Anhänger*innen bedroht und geschlagen. Als der Reporter kurze Zeit später in sein Auto steigt und losfahren will, bemerkt er, dass sich in allen vier Reifen Schrauben befanden, die bis zum Kopf versenkt worden waren.
Durch die Wahlveranstaltungen im Zuge der Kommunal- und Eurpawahlen sowie der jetzt Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg droht eine weitere Ausdehnung von Gefahrenzonen für Medienschaffende. „Im unabhängigen Monitoring der Opferberatungsstellen sehen wir: Hauptsächliche Zielgruppen von gewalttätigen Angriffen durch AfD-Funktionär*innen und Mitglieder und Sympathisant:innen der rechtsextremen Partei sind aktuell Journalist*innen sowie Menschen, die an Protesten gegen Rechtsextremismus und gegen AfD-Versammlungen teilnehmen“, sagt Judith Porath vom Vorstand des Verbands der Opferberatungsstellen VBRG e.V. und Geschäftsführerin der Opferperspektive e.V. in Brandenburg. Das zeigt eine aktuelle Analyse des VBRG: So wurde beispielsweise ein freier Journalist, der über die Gründung einer AfD-nahen „Interessenvertretung kleinbäuerliche Landwirtschaft“ am 4. Februar 2024 in Sammarei (Landkreis Passau) berichten wollte, gewaltsam aus dem Saal gedrängt. Anschließend wurde er vom Pächter der Gaststätte, dem Passauer AfD-Stadtrat Robert Schregle, so gestoßen, dass er eine Verletzung am Sprunggelenk erlitt. Schirmherr der Veranstaltung war der AfD-Landtagsabgeordnete Ralf Stadler.
Dass auch gewählte Abgeordnete und Mandatsträger als brutale Schläger aufträten, entsprecht nicht der gängigen Vorstellung rechter Gewalttäter bei Ermittlungsbehörden und Justiz. Umso wichtiger ist es, dass sowohl der Rechtsstaat als auch Medienhäuser sich auf die Seite der angegriffenen Journalist:innen stellen. Am 21. Juni um 12:30 Uhr wollen die Initiator:innen des Schutzkodex, der VBRG und die Medienverbände Neue Deutsche Medienmacher, Reporter ohne Grenzen und DJU/ver.di in einer öffentlichen Veranstaltung über die weit verbreiteten Angriffe gegen Medienschaffende und notwendige Schutzmaßnahmen sprechen. Dazu laden wir ins neu eröffnete Publix (Hermannstr. 90, 12051 Berlin) ein, um die Frage zu diskutieren: „Journalismus unter Druck – Wie stärken und schützen wir die vierte Gewalt?“
Speaker:innen sind Kevin Kühnert (SPD, Generalsekretär), Jutta Steinhoff (Chefredaktion dpa), Franziska Klemenz (Table Media), Rasmus Kahlen (Nebenklagevertreter im Fretterode- Prozess), Omid Rezaee (freier Journalist, Neue deutsche Medienmacher*innen) und Correctiv. Jana Pareigis (ZDF) moderiert die Veranstaltung.
Beispielhaft für die Missachtung der Pressefreiheit durch Ermittlungsbehörden und Justiz steht u.a. der Neonazi-Angriff auf zwei freie Journalisten in Fretterode im April 2018. Dessen mangelhafte und skandalöse Aufarbeitung durch die Ermittlungsbehörden und Justiz hat im Mai 2024 zu einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch den Bundesgerichtshof. In dem Fall bündeln sich wie unter einem Brennglas der mangelnde Schutz der Pressefreiheit und vieler Medienschaffender bei ihrer wichtigen Arbeit und die Übernahme rechtsextremer Narrative durch die Ermittlungsbehörden und Justiz. Die Unterstützung der bei dem Angriff schwer verletzten Journalisten durch die Opferberatungsstelle ezra in Thüringen und die akribische Arbeit der Nebenklagevertreter Sven Adam und Rasmus Kahlen war für die Aufhebung des „skandalösen Urteils“ des Landgerichts Mühlhausen (Frankfurter Allgemeine Zeitung) von zentraler Bedeutung. Darüber wird Rasmus Kahlen auf dem Podium am 21. Juni 2024 berichten.
Nach der Diskussion laden wir zu einem informellen Get-Together auf der Sonnenterasse des Publix ein. Wir freuen uns über Anmeldungen unter: event@reporter-ohne-grenzen.de
Weitere Infos: schutzkodex.de