Gravierende Diskrepanz bei der Anerkennung des Ausmaß rechts, rassistisch und antisemitisch motivierter Tötungsdelikte seit 1990 wird durch ToReG-Projekt des LKA NRW nicht geschlossen.
Verweigerte Anerkennung für ermordete Polizeibeamt*innen in Dortmund-Waltrop und Opfer rassistischer Brandanschläge in Duisburg, Paderborn und Köln verschleiert das Ausmaß der tödlichen Dimension rechter Gewalt.
Die gravierende Erfassungs- und Anerkennungslücke beim realen Ausmaß politisch rechts motivierter Tötungsdelikte seit 1990 verringert sich auch nach dem Ergebnisbericht des Forschungsprojekts ToReG des Innenministeriums und LKA NRW nur unwesentlich. Derzeit gehen Opferberatungsstellen und Journalist*innen für den Zeitraum zwischen 1990 bis 2023 von mindestens 195 Tötungsdelikten mit rechten, rassistischen und antisemitischen Tatmotivation sowie von mindestens 65 Verdachtsfällen aus. Für den gleichen Zeitraum hat das Bundeskriminalamt lediglich 115 PMK-Rechts Tötungsdelikte anerkannt.
Unabhängiges Forschungsdesign statt polizeiinterne Überprüfung
Die anhaltend hohe Diskrepanz bei der Anerkennung der tödlichen Dimension von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus verringert sich durch das Ergebnis der Forschungsprojekt ToReG des LKA NRW lediglich um sieben weitere Todesopfer in vier Fällen. Als viertes Bundesland hatte Nordrhein-Westfalen 30 sogenannter „Altfälle und Verdachtsfälle“ mit Hinweisen auf einschlägige rechte Tatmotive und Hintergründe durch eine LKA-interne Forschungsgruppe untersuchen lassen. Der Verzicht auf eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung und auf die Expertise der Opferberatungsstellen Opferberatung Rheinland und BackUp NRW hatte für das ToReG-Projekt und für die Hinterbliebenen und Überlebenden der überprüften Fälle gravierende Folgen: Überlebende und Hinterbliebene der nach Abschluss von ToREG nicht anerkannten rassistisch motivierten Brandanschläge in Duisburg 1984, in Paderborn 1994 und in Köln-Gremberg 1994 kritisieren, dass sie als Opferzeug*innen nicht angehört und auch nicht über die Überprüfung informiert wurden.
Verweigerte Anerkennung für ermordete Polizeibeamte
Es bleibt zudem völlig unklar, warum der Neonazi-Mord am 14. Juni 2000 in Dortmund-Waltrop an den drei Polizeibeamt*innen Thomas Goretzky, Yvonne Hachkämper und Matthias Larisch von Woitowitz durch den bekennenden Neonazi Michael Berger nicht als politisch rechts motiviert anerkannt worden ist. Die drei Polizeibeamt*innen wurden zweifelsfrei als Repräsentant*innen des bei Neonazis verhassten demokratischen Rechtsstaats ermordet. Während jedoch in Schleswig-Holstein der Polizeibeamte Stefan Grage, der 1997 von einem Neonazi auf der Flucht erschossen wurde und in Bayern der SEK-Beamte Daniel Ernst, der 2016 von einem Reichsbürger ermordet wurde, als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt sind, verweigert das Innenministerium NRW diese Anerkennung. Die Gründe hierfür sind aufgrund des Studiendesigns nicht transparent und lassen sich jedenfalls aus dem KPDMK-PMK nicht ableiten.
Demgegenüber hatten das Innenministerium Brandenburg (2015), der Berliner Innensenat (2018) und das Innenministerium Thüringen (2022) jeweils unabhängige Wissenschaftler*innen mit der Überprüfung von Tötungsdelikten mit mutmaßlicher rechter Tatmotivation beauftragt. Die Forschungsprojekte des Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ der Universität Potsdam in Brandenburg und der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin in Thüringen wurden durch Beiräte begleitet, in denen die Opferberatungsstellen Opferperspektive bzw. ezra sowie der VBRG ebenso vertreten waren wie die jeweiligen Landeskriminalämter, Innen- und Justizressorts. In Berlin führte das Forschungsteam vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin Expert*innen-Interviews mit der Opferberatung ReachOut und dem VBRG e.V.
Dennoch wichtige Signalwirkung
Trotz aller Lücken und Mängel der ToReG-Studie geht u.a. von der späten Anerkennung von Horst Pulter (65), der als Wohnungsloser in der Nacht zum 5. Februar 1995 im Stadtpark von Velbert von einer Gruppe Naziskins erstochen wurde; von Josef Anton Gera (59), der im Oktober 1997 in Bochum durch vier Naziskins tödlich misshandelt wurde; und von Thomas Schmuddel Schultz, der im März 2003 von einem Neonazi als Punk und damit politischer Gegner ermordet wurde, ein wichtiges Signal aus: Dass die Gedenk- und Aufklärungsarbeit von Hinterbliebenen, Überlebenden und antifaschistischen Initiativen, Bündnisse gegen Rechts und Opferberatungsstellen wirkungsvoll sind. Und dass es sinnvoll ist, die Arbeit von Polizei und Justiz in strittigen Fällen zu überprüfen.
In 12 weiteren Bundesländern ist eine derartige Überprüfung durch unabhängige Wissenschaftler*innen in Zusammenarbeit mit Beiräten aus Polizei, Justiz und Opferberatungsstellen jetzt überfällig. Dafür setzen sich die jeweiligen Opferberatungsstellen in den Bundesländern und der VBRG seit langem ein.
Weitere Informationen:
Kontakt: Heike Kleffner, E-Mail: info@verband-brg.de
Download: Stellungnahme des VBRG als PDF
Außerdem können Sie im Folgenden die Stellungnahme der Beratungsstellen Opferberatung Rheinland (OBR) und der Betroffenenberatung BackUp zum Projekt “ToreG NRW” lesen und herunterladen: Stellungnahme der Opferberatung Rheinland (OBR) und Betroffenenberatung BackUp vom 04.09.2024. Projekt „ToreG NRW“: Opferberatungsstellen beklagen ungenutzte Chancen und fehlende Transparenz.