1. Einleitung
Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. (VBRG) und die darin zusammengeschlossenen fachspezifischen Gewaltopferberatungsstellen in 14 Bundesländern begrüßen grundsätzlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung einer „Stiftung NSU-Dokumentationszentrum“. Es wird betont, dass die intensive Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex und dessen politisch-historischer Bedeutung sowie ein betroffenenzentriertes Gedenken an die Opfer der rassistischen und rechtsterroristischen Mord- und Anschlagsserie von überragender gesamtgesellschaftlichen Bedeutung ist – und seit über einem Jahrzehnt von Hinterbliebenen von Enver Şimşek (38), Abdurrahim Özüdoğru (49), Süleyman Taşköprü (31), Habil Kılıç (38), Mehmet Turgut (24), İsmail Yaşar (50), Theodoros Boulgarides (41), Mehmet Kubaşık (39), Halit Yozgat (21) sowie Michèle Kiesewetter (22) und Überlebenden der rassistischen Sprengstoffanschläge 1999 in Nürnberg 2001 und 2004 in Köln eingefordert wird.
Der Gesetzentwurf stellt somit einen längst überfälligen Schritt dar, insbesondere in Hinblick auf die notwendige, kontinuierliche Auseinandersetzung mit der mörderischen Dimension rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und institutionellen Rassismus, die bisher unzureichend im Fokus der allgemeinen Öffentlichkeit stehen. Eine Stiftung, die sich explizit mit einem Fokus auf die Perspektive der Hinterbliebenen und Überlebenden „mit der Geschichte des NSU, deren Opfern und von ihren Taten Betroffenen und darüber hinaus mit der Geschichte des Rechtsterrorismus nach 1945“ auseinandersetzt, kann hier einen wertvollen Beitrag leisten.
Rechte, rassistische und antisemitische Anschläge und Attentate sowie einschlägige Gewalttaten stellen eine dauerhafte Bedrohung insbesondere für alle Menschen dar, die in der Ideologie und im Weltbild der Täter*innen abgewertet werden. Den Betroffenen werden das Existenzrecht, die Zugehörigkeit zur Gesellschaft und der Schutz durch Artikel 1 GG abgesprochen. Rechte, rassistische und antisemitische Anschläge und Attentate sowie einschlägige Gewalttaten sind eine dauerhafte Bedrohung für den demokratischen Rechtsstaat, den die Täter*innen ablehnen und bekämpfen. Die Dimension dieser Bedrohung ist gravierend: Zehntausende Menschen waren in den vergangenen Jahrzehnten von Angriffen betroffen, deren Motive Ideologien der Ungleichwertigkeit und Feindbilder der extremen Rechten widerspiegeln: Antisemitismus, Rassismus, Queer- und Transfeindlichkeit, Sozialdarwinismus, Hass und Abwertung von Sinti* und Roma* oder von politischen Gegner*innen. Seit 1990 sind mehr als 200 Menschen rechts, rassistisch, antisemitisch und/oder sozialdarwinistisch motivierten Tötungsdelikten zum Opfer gefallen. Bei rechtsterroristisch, antisemitisch und rassistisch motivierten Anschlägen und Tötungsdelikten starben allein im Zeitraum von 2019 bis 2023 mindestens 24 Menschen: Dr. Walter Lübcke, der langjährige CDU-Regierungspräsident von Kassel am 1. Juni 2019; Jana Lange und Kevin Schwarze beim antisemitisch, rassistisch und antifeministisch motivierten Anschlag in Halle (Saale) und Wiedersdorf an Yom Kippur 2019 sowie Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu bei dem rechtsterroristischen, rassistischen Attentat am 19. Februar 2020 in Hanau. Bei politisch rechts und antisemitisch motivierten Botschaftstaten starben Alexander W. am 21. September 2021 in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) und vier Mitglieder der Familie R. – darunter drei Kinder im Grundschulalter – am 4. Dezember 2021 in Senzig (Brandenburg). Im Jahr 2023 ereigneten sich mindestens acht bis neun rechts, rassistisch oder antisemitisch motivierte Angriffe täglich in Deutschland.
Die Perspektive und Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen stärken – statt unzureichender Mitspracherechte und Befugnisse
Ein zentrales Anliegen des VBRGs ist es, die Perspektive der Betroffenen zu stärken. In der Begründung zur Notwendigkeit der Gründung einer Stiftung NSU-Dokumentationszentrum geht der Gesetzesentwurf in seiner vorliegenden Form über den alleinigen Fokus auf den NSU-Komplex hinaus, vielmehr stellt er diesen in den Kontext einer Kontinuität rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und rechtsterroristischer Netzwerke und Anschläge seit 1945 in Ost- wie Westdeutschland. Dieser umfassende Ansatz ist wichtig, um den NSU-Komplex in seiner historischen Dimension und ideologischen und organisatorischen Entstehungsgeschichte zu verstehen. Tatsächlich aber löst der bisher vorliegende Gesetzentwurf den eigenen Anspruch, die Perspektive der Betroffenen und insbesondere der Hinterbliebenen und Überlebenden der NSU-Mord- und Anschlagsserie zu berücksichtigen – die oft ihr Leben lang unter den materiellen und immateriellen Tatfolgen leiden – nicht ein. Die Mitspracherechte und Entscheidungsbefugnisse und -möglichkeiten von Hinterbliebenen und Überlebenden in den Organen und in der programmatischen Ausrichtung der Stiftung sind in dem vorliegenden Gesetzentwurf unzureichend und müssen eine wesentlich stärkere Rolle einnehmen.
Hinterbliebene und Überlebende der NSU-Mord- und Anschlagsserie sowie Hinterbliebene und Betroffene weiterer rechtsterroristischer, antisemitischer und rassistischer Anschläge und Tötungsdelikte, die in einem bundesweiten Betroffenen- und Solidaritätsnetzwerk zusammengeschlossen sind, haben wiederholt öffentlich betont, dass sie bei zentralen Entscheidungen in Bezug auf die Stiftung NSU-Dokumentationszentrum mit einbezogen werden wollen. Sie fordern einen „Seat at the Table“ ein. Im Gesetzentwurf sind ihre Mitsprachemöglichkeiten jedoch derzeit fast ausschließlich als Stiftungsbeiräte (§12) vorgesehen. Entsprechend sind die Mitbestimmungsrechte und -möglichkeiten der Betroffenen im Gesetzentwurf unzureichend, um den Forderungen gerecht zu werden.
Derzeit sollen die Betroffenen ausschließlich in einem Stiftungsbeirat (§ 12) organisiert sein und dürfen nach dem vorliegenden Entwurf lediglich eine Person in den Stiftungsrat entsenden. Dies schränkt das Mitbestimmungsrecht der Betroffenen und Hinterbliebenen innerhalb des höchstens Gremiums der Stiftung erheblich ein, insbesondere im Vergleich zu Vertreter*innen aus den Ministerien, der Verwaltung, den Kommunen oder dem Bundestag, die zusammengenommen mit wesentlich mehr Stimmen im Stiftungsrat vertreten sind.
Dieser Umstand ist besonders problematisch, da sich im NSU-Komplex ein institutioneller Rassismus sowie die Dysfunktion staatlicher Behörden und Institutionen des Rechtsstaats widerspiegeln – insbesondere gegenüber den Betroffenen. Die Ermordeten und ihre Angehörigen sowie die Überlebenden und Verletzten der Sprengstoffanschläge wurden über Jahre hinweg kriminalisiert, nicht ernst genommen und der Täterschaft bezichtigt. Diese strukturelle Diskriminierung darf sich nicht auch noch in der Zusammensetzung und Mitbestimmungsmöglichkeiten und -rechte innerhalb der Stiftung fortsetzen. Vielmehr ist die Bedingung für das Gelingen eines Dokumentationszentrums und für die breite Akzeptanz des Vorhabens, die Einbindung der Betroffenen auf Augenhöhe und gleichberechtigt zwingend erforderlich. Eine Missachtung dieses Grundprinzips könnte von Betroffenen als „gegen sie“ interpretiert werden – und die bisherigen Erfahrungen mit staatlichen Institutionen fortsetzen, die einher gingen mit Enttäuschungen und erneuter Viktimisierung.
Daher fordern wir eine gleichberechtigte Teilhabe der Betroffenen im Stiftungsrat. Es ist notwendig, dass Betroffene und Angehörige nicht lediglich eine marginale Position einnehmen bzw. zugewiesen bekommen, sondern gleichberechtigt an den Entscheidungen der Stiftung beteiligt werden. Wir schlagen vor, die derzeit vorgesehenen Regelung des Stiftungsrats (§ 7 Abs 10) wie folgt zu ändern:
- (…) fünf Vertreterinnen und Vertreter der Opferangehörigen und Überlebenden des NSU-Terrors sowie weiterer Betroffenenvertreter*innen aus anderer rechten, rassistischen oder antisemitischen Gewalt- sowie Terrortaten. Sowie fünf Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die von den Stiftungsbeiräten (§ 7) benannt werden.
Ein weiteres wichtiges Anliegen betrifft die besondere Belastung und Vulnerabilität der Betroffenen und Hinterbliebenen. Das bisherige Engagement der Betroffenen ist gekennzeichnet durch ein hohes Ausmaß von ehrenamtlichen Tätigkeiten. Um ihnen eine Fortsetzung ihrer Aufklärungsarbeit innerhalb der Stiftung NSU-Dokumentationszentrum zu ermöglichen, sollte eine angemessene Aufwandsentschädigung – anstelle von ehrenamtlichem Engagement unter prekären Verhältnissen – selbstverständlich im Gesetzentwurf verankert werden. Zumal hinzukommt, dass viele Betroffene und Überlebende wiederholt betont haben, dass ihre Arbeit in derartigen Gremien retraumatisierend und emotional belastend ist. Auch angesichts dieser Belastung darf die Mitarbeit im Stiftungsbeirat (§ 12) nicht rein ehrenamtlich erfolgen, sondern muss mit einer angemessenen Aufwandsentschädigung in Höhe von mindestens 3.000 Euro jährlich pro Person honoriert werden. Damit wäre auch ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung für das Engagement derjenigen verbunden, die trotz ihres persönlichen Schmerzes einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung und zum Gedenken leisten.
2. Absicherung des Gremiums vor rechtsextremen Akteuren
Ein weiterer zentraler Punkt betrifft den Schutz des Stiftungsrats (§ 7) sowie dessen Mitglieder – insbesondere die Betroffenen und Hinterbliebenden – vor rechtsextremen Einflussnahmen. Die demokratische Kontrolle des Stiftungsrats ist von enormer Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der zu errichtenden Stiftung sowie für diejenigen, die sich seit vielen Jahren für eine aktive Aufarbeitung einsetzten – insbesondere für die Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass auch Mitglieder des Bundestages in dem Organ eingebunden sind. Gleichzeitig möchten wir betonen, dass auch diese Stiftung sich mit einem besonders sensiblen Thema der bundesdeutschen Geschichte auseinandersetzt und entsprechend in besonderer Weise Schutz vor rechtsextremen und antisemitischen Akteuren bedarf. Die Stiftung legt den Grundstein für die Errichtung und Ausgestaltung des Dokumentationszentrum, dessen Ziel unter anderem auch ist, die strukturellen Ursachen für das Scheitern der Ermittlungsbehörden im NSU-Komplex darzulegen und aufzuarbeiten. Die Taten ereigneten sich vor dem Hintergrund institutionell rassistischer Verhältnisse in den Behörden und Ämter. Die Betroffenen fordern in der Aufarbeitung durch die Stiftung und das Dokumentationszentrum eine entsprechend (selbst-)kritische Haltung. Diese Anforderung wäre durch rechtsextreme und antisemitische Akteur*innen als Teil des Stiftungsrates gefährdet.
Um die Unabhängigkeit und Integrität der Stiftung zu gewährleisten, schlagen wir daher vor, dass Parteien wie die AfD, bei denen Gerichte feststellen, dass ihre politischen Zielsetzungen „auch beinhalten, den Schutz der Menschenwürde außer Geltung zu setzen“ (OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2024, – 5 A 1218/22 -) und/oder vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall oder als gesichert rechtsextrem eingestuft werden, keine Vertreterinnen und Vertreter in den Stiftungsrat entsenden dürfen. Dies ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Stiftung ihrem Auftrag gerecht werden kann, ohne von rechten, rassistischen oder antisemitischen Kräften beeinflusst oder untergraben zu werden. Die Errichtung der „Stiftung NSU-Dokumentationszentrum“ erfordert ein klares Bekenntnis zu den Grundwerten des Grundgesetz, der Demokratie sowie des gesellschaftlichen Pluralismus.
3. Mehrere Standorte und die Bedeutung von Ostdeutschland
Wie in der Machbarkeitsstudie des RAA Sachsen e.V.[1] sowie in der Machbarkeitsstudie der Bundeszentrale für politische Bildung[2], herausgearbeitet wurde, ist der NSU-Komplex vielschichtig und erstreckt sich über verschiedene Tatorte in der gesamten Bundesrepublik. Um dieser Mehrortigkeit gerecht zu werden, bedarf es eines Verbundsystems aus mehreren dezentralen Standorten. Diese Notwendigkeit wurde auch in der im Frühjahr 2024 vom Bundesministerium des Inneren in Auftrag gegebenen Studie der Bundeszentrale für politische Bildung bestätigt. Darin heißt es: „Einigkeit herrscht jedoch darin, dass in einer dezentralen Verbundstruktur die verschiedenen Erinnerungsorte und Aufarbeitungsinitiativen am ehesten gesichert und unterstützt werden können.“
Um den NSU-Komplex im Kontext rechtsterroristischer Straftaten und Gewaltverbrechen seit 1945 sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland einzuordnen, muss diese Mehrstandortigkeit und Verbundstruktur klar im Stiftungszweck (§ 2) sowie im § 1 Einrichtung und Sitz der Stiftung (hier §1 (2)) verankert werden. Im Stiftungszweck (§ 2) muss darüber hinaus festgehalten werden, dass die Stiftung lokale Strukturen fördern und zu unterstützen darf, um eine vielfältige und pluralistische Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit zu gewährleisten. Folgerichtig darf die Stiftung nicht allein in Berlin angesiedelt sein. Vielmehr muss sie über mehrere Standorte verfügen können, die in verschiedenen Regionen der Bundesrepublik verteilt sind, um die historischen Zusammenhänge und die lokalen Gegebenheiten der Tatorte sichtbar zu machen.
Im Gesetzentwurf zur Stiftung wird richtigerweise auch auf die massive rechte, rassistische und antisemitische Gewalt seit der Wiedervereinigung eingegangen. Hier muss insbesondere die dezidierte Perspektive auf Ostdeutschland gestärkt werden. Zu den einschlägigen Stichworten zählen die „Baseballschlägerjahre“ und das Jahrzehnt der Brandanschläge sowie der Hinweis, dass das NSU-Kerntrio und seine engsten Unterstützer*innen überwiegend in Thüringen und Sachsen lebten und von dort aus ihre rechtsterroristischen Anschläge und Verbrechen planen konnten, ohne dass Strafverfolgungsbehörden, Justiz oder Verfassungsschutzbehörden mit adäquaten Maßnahmen auf die vorliegenden Informationen zu den rechtsterroristischen Aktivitäten des NSU-Netzwerks und dem Aufenthaltsorten den NSU-Kerntrios reagierten . Die spezifischen Ausgangsbedingungen in Ostdeutschland, die den Terror des NSU-Netzwerks und weiterer rechtsterroristischer Netzwerke und Gruppen ermöglich(t)en, müssen sich auch in den Aktivitäten der Stiftung und des Dokumentationszentrums widerspiegeln. Es ist essenziell, dass die Stiftung die Auseinandersetzung mit der rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Gewalt nach der Wiedervereinigung in den ostdeutschen Bundesländern kritisch bilanziert, ihre Aufarbeitung intensiviert und für diese Region spezifische Bildungs- und Erinnerungsangebote entwickelt.
4. Namensgebung der Stiftung
Neben der Einbettung des NSU-Komplexes in den Kontext rechter Gewalt seit 1945 sollte auch das Gedenken an die Opfer in den Namen der Stiftung einfließen. Das Gedenken spielt eine zentrale Rolle in der Arbeit der Stiftung, da es nicht nur um die Aufarbeitung der Taten, sondern auch um das Bewahren der Erinnerung an die Opfer und deren Angehörige geht. Eine solche Erweiterung des Namens würde den Stiftungszweck klarer zum Ausdruck bringen und die Bedeutung des Gedenkens für die Gesellschaft hervorheben.
Ein Vorschlag für den neuen Namen könnte daher lauten: „Stiftung Gedenken und Aufarbeitung NSU-Komplex und rechter Gewalt seit 1945“.
Dieser Name trägt der gesellschaftlichen Dimension und der Vielschichtigkeit des NSU-Komplexes sowie der umfassenden Auseinandersetzung mit rechter Gewalt in Deutschland Rechnung und verankert das Gedenken an die Opfer und deren Schicksale fest im Stiftungsnamen. Eine solche Umbenennung würde nicht nur die inhaltliche Breite der Stiftung deutlicher hervorheben, sondern auch die langfristige Zielsetzung der Aufarbeitung rechter Gewalt in der gesamten Bundesrepublik klarer formulieren.
5. Jugendbeteiligung durch Jugendbeirat
Aus der Forschung sowie den Jahresbilanzen zum Ausmaß rechter Gewalt des VBRG wissen wir, dass rechte, rassistische und antisemitische Gewalt insbesondere auch Kinder und Jugendliche betrifft[3]. Jugendliche werden immer wieder Opfer dieser Form von Gewalt und müssen sich sowohl mit den direkten physischen und psychischen Folgen als auch mit der gesellschaftlichen Aufarbeitung auseinandersetzen. Hinzukommt, dass insbesondere auch Kinder sowie Jugendliche besonders darunter leiden, wenn ihre Eltern oder Familienmitglieder selbst von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt betroffen sind.
Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, neben den bereits vorgesehenen Stiftungsbeiräten (§ 7) einen dritten Beirat hinzuzufügen, der als Jugendbeirat organisiert wird. Dieser Beirat soll acht Jugendlichen im Alter von 14 bis 27 Jahren offenstehen. Der Besetzung muss ein Diversitätsanspruch zu Grunde liegen, wobei vier der Sitze gezielt an Jugendverbände vergeben werden, insbesondere auch an solche, die sich aus Migrant*innenselbstorganisationen zusammensetzen.
Ein demokratisches Miteinander muss auch die Perspektiven junger Menschen berücksichtigen. Die Einbindung der Jugendlichen und ihrer spezifischen Perspektive ist von unschätzbarem Wert für die Stiftung „NSU-Dokumentationszentrum“ und folgt damit der UN-Kinderrechtskonvention, die seit 1992 in Deutschland in Kraft ist. Jugendliche können wichtige Impulse dafür geben, welche neuen oder alternativen Formate notwendig sind, um eine jüngere Zielgruppe anzusprechen und für das Thema zu sensibilisieren[4]. Daher ist es essenziell, diese Perspektive im Stiftungsrat adäquat abzubilden. Der oder die Vorsitzende des Jugendbeirats soll ein volles Stimmrecht im Stiftungsrat erhalten, um sicherzustellen, dass die jugendliche Perspektive auch in den zentralen Entscheidungen der Stiftung berücksichtigt wird.
6. Fazit
Der Verband der Beratungsstellen unterstützt die Errichtung der Stiftung NSU-Dokumentationszentrum ausdrücklich, sieht jedoch in der vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs erheblichen Nachbesserungsbedarf, insbesondere in der Stärkung der Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte der direkt Betroffenen im Stiftungsrat. Eine Stiftung, die sich nachhaltig mit rechter Gewalt auseinandersetzt, kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Perspektiven derjenigen, die am meisten betroffen sind, im Zentrum der Entscheidungen stehen. Darüberhinaus betonen wir die Notwendigkeit, neben der Stärkung der Betroffenenperspektive auch die Absicherung des Gremiums vor rechtsextremistischen Akteuren und Einflussnahme sicherzustellen. Nur durch eine klare Abgrenzung gegen rechtsextreme Einflüsse kann die Stiftung langfristig glaubwürdig und wirksam arbeiten. Deweiteren plädieren wir für die stärkere Einbindung von Jugendlichen mit einem eigenen Beirat als wesentliche Baustein, um die Arbeit der Stiftung nachhaltig, inklusiv und zukunftsorientiert zu gestalten. Zudem muss die zukünftige Stiftung die Möglichkeit eröffnen, lokale Strukturen zu fördern und zu unterstützen, um eine vielfältige und pluralistische Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit zu gewährleisten.
[1] Konzeptions und Machbarkeitsstudie für ein Dokumentationszentrum zum NSU Komplex in Südwessachsen (2023: https://www.nsudoku.de/raa-sachsen/files/Studie-Dokumentationszentrum-RAA-2023-Web.pdf.
[2] Machbarkeitsstudie, Erichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU (2024): https://www.bpb.de/die-bpb/presse/pressemitteilungen/545993/erinnerungsort-und-dokumentationszentrum-zum-terror-des-nationalsozialistischen-untergrunds/.
[3] Jahresstatistiken rechte, rassistische und antisemitische Gewalt des VBRG: https://verband-brg.de/rechte-rassistische-und-antisemitische-gewalt-in-deutschland-2023-jahresbilanzen-der-opferberatungsstellen/
[4] Auf die besondere Bedeutung von Jugendlichen als Zielgruppe eines zukünftigen NSU Dokumentationszentrum wird in beiden Machbarkeitsstudien explizit verwiesen. Verweis zu den Studien, siehe Fußnoten 1 und 2.