Eine Wahrnehmungslücke: Gewalt gegen LSBTTIQ*

19.06.2019

Christopher W. (26) wurde am 18. April 2018 in Aue (Sachsen) durch drei stadtbekannte Rechte getötet. Der offen schwul lebende Kochlehrling war zuvor immer wieder von den drei einschlägig polizeibekannten Männern, die in der in Sachsen weit verbreiteten Mischszene von rechten Drogenkonsumenten und –dealern aktiv waren, über Stunden misshandelt und gefoltert. Anfang Juli verurteilte das Landgericht Chemnitz die drei Männer wegen Totschlags zu Haftstrafen zwischen 11 und 14 Jahren. Doch die Frage des Motivs der Täter, insbesondere ein tödlicher Hass auf Schwule und LSBTTIQ* – also einem bekannten rechtsextremen Ideologieelement – verneinten das Gericht und die Staatsanwaltschaft. Die Opferberatung SUPPORT der RAA Sachsen e.V. hat den Prozess begleitet und die offensichtliche Wahrnehmungslücke zur Tatmotivation mehrfach kritisiert und die eindeutigen Hinweise für eine rechte Tatmotivation dokumentiert. Christopher W. zählt daher für die Opferberatungen zu den mehr als 170 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990.

Der gewaltsame Tod von Christopher W. und die Missachtung des rechten Tatmotivs sind nur ein trauriger Höhepunkt bei der mangelnden Wahrnehmung von homo- und transphober Gewalt durch die Ermittlungsbehörden. In Sachsen ist diese Wahrnehmungslücke nun erstmals umfangreich dokumentiert worden. Die LAG Queeres Sachsen kommt in einer bundesweit einmaligen Online-Umfrage zu homo- und transphober Gewalt zu dem Ergebnis, dass Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, trans- und intergeschlechtliche Personen sowie queere Menschen (LSBTTIQ*) deutlich weiter verbreitet ist als bisher offiziell bekannt. Angesichts der hohen Diskrepanz zu den offiziellen Zahlen bei homo- und transphober Gewalt in Sachsen – 55 durch das Innenministerium zwischen 2001 und 2017 registrierte Fälle im Vergleich zu mehr als 1.000 Fällen, die im Rahmen der Online-Studie für den Zeitraum 2012 – 2017 gemeldet wurden -, ist es dringend notwendig diese Wahrnehmungslücke zu schließen.