Neue Folge der Webdoku „Gegen uns“: Baseballschlägerjahre in der Uckermark: Rechte Gewalt und Gegenwehr

Die aktuelle Episode der Webdokumentation „Gegen uns. Betroffene im Gespräch über rechte Gewalt nach 1990 und die Verteidigung der solidarischen Gesellschaft“ ist endlich online!

Hier geht es zur neuen Episode: gegenuns.de/uckermark

Linke Jugendliche und ihr Infocafé sind über Jahre Zielscheibe rechter Gewalt in Angermünde

Die Erfahrung brutaler rechter Angriffe in den 1990er Jahren prägen eine ganze Generation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ostdeutschland. Die Bedrohung durch Neonazis richtet sich gegen alle, die nicht in ihr Weltbild passen: alternative, nicht-rechte Jugendliche, Migrant*innen, Wohnungslose. In Angermünde organisieren sich junge Menschen und gründen ein linkes Jugendprojekt: das Infocafé Angermünde. Obwohl wiederholt Anschläge auf den Klub verübt werden und es permanent Angriffe von Naziskinheads auf die Besucher*innen gibt, erkämpfen sie sich ihre Freiräume und setzen ihre eigene Vorstellung von solidarischem Leben und Kultur um.

„Direkt am ersten Tag nach der Eröffnung des neuen Infocafés werden zwei Besucher von rechten Schlägern angegriffen und verletzt. Diese Angriffe gehen alltäglich weiter.“

Im Laufe der Jahre erlebte die Gruppe wiederholt Anschläge auf das Café und Angriffe auf Besuchende. Bei „Gegen uns.“ sprechen Christian Theuerl, Holger Zschoge, Micha und Susanne Lang über die 1990er und den Kampf um selbst gestaltete, sichere Räume in der Uckermark.

Die 90er Jahre waren aber auch für Geflüchtete in Brandenburg eine schwere und durch Angst geprägte Zeit. Diverse gesetzliche Sonderregelungen erschwerten das Leben der Menschen, Angriffe auf Geflüchtete und Anschläge auf die Unterkünfte waren keine Einzelfälle. Said und Bethi Ngari erinnern sich bei „Gegen uns.“ an ihre Zeit im Wohnheim für Geflüchtete in Prenzlau.

„Mehrere hundert Menschen leben in den Heimen ohne Beschäftigung, es gibt kaum Deutschkurse, schlechte ärztliche Versorgung und wenig Kontakt zur einheimischen Bevölkerung.“

Eine besondere Bedeutung hatte die Verknüpfung und Solidarisierung zwischen alternativen Jugendlichen und Geflüchteten. Die Interviewpartner:innen berichten in der Webdoku von gegenseitiger Solidarität und Aktionen, die gemeinsam initiiert wurden.

„Es fühlte sich nicht mehr ganz so schlimm an, ich glaube, weil wir uns nicht mehr so ohnmächtig gefühlt haben“, Susanne Lang

Die Webdoku „Gegen uns.“ wurde für den Grimme Online Award 2021 in der Kategorie INFORMATION mit einem Jury-Preis ausgezeichnet. Zur Begründung heißt es u.a.: „Die Webdokumentation „Gegen uns.“ holt auf eindrucksvolle Weise die Lebensgeschichten von Opfern von Rassismus und rechtsextremistischer Gewalt aus der statistischen Anonymität. Nicht nur um die Tat an sich geht es bei den tiefgehenden und deshalb herausragenden Recherchen; auch der gesellschaftliche Kontext und die Langzeitwirkungen für Betroffene und ihr Umfeld werden mit multimedialen Mitteln von allen Seiten beleuchtet. (…)Die einzelnen Taten sowie ihre Vor- und Nachgeschichten verbinden sich so beim Anschauen der einzelnen Episoden immer mehr zu dem, was sie sind: ein Angriff auf das Gemeinwesen. „Gegen uns.“ trifft mitten ins Herz.“

Hier findet Ihr den Grimme Online Award 2021 und die Liste der spannenden und wichtigen preisgekrönten Beiträge:

https://www.grimme-online-award.de/2021/preistraeger/

Und zur Würdigung von „Gegen uns“:

https://www.grimme-online-award.de/2021/preistraeger/p/d/gegen-uns-1/

Das Projekt „Gegen uns.“

Die Online-Dokumentationsreihe „Gegen uns.“ stellt ein wesentliches Archiv rechter und rassistischer Gewalt, seiner zeithistorischen Einordnung und Auswirkungen bis heute, Folgen für die Betroffenen und Angehörige sowie die Auswirkungen bis in die Gegenwart. In den einzelnen Episoden berichten Betroffene über ihre Erfahrungen von Gewalt, Ausgrenzung und Kriminalisierung, aber auch von gelebter Solidarität und erfolgreichem Widerstand. Beim Zuhören wird deutlich: Rechte Gewalt richtet sich gegen die Angegriffenen, und auch gegen uns alle.

Fortsetzungen folgen

Anhand von ausgewählten Porträts, Interviews und zeitgeschichtlichen Dokumenten aus unterschiedlichen Bundesländern dokumentert „Gegen uns.“ auch vielfältige Formen von Widerstand und Solidarität. Veröffentlicht wurden bisher Porträts des 1991 in Dresden bei einem Neonazi-Angriff getöteten ehemaligen Vertragsarbeiters Jorge Gomondai und des Erfurter Rappers Sonne Ra sowie der 2007 in Dresden aus antimuslimischen Rassismus getöteten Apothekerin Marwa el-Sherbini. Für 2021 sind weitere Episoden zu den Kontinuitäten antisemitischer Gewalt und Gewalt gegen Wohnungslose in Planung, Alle Fälle stehen exemplarisch für unterschiedliche Konjunkturen rechter Gewalt. Jede Episode dokumentiert neben der lebensbiographisch-persönlichen Erzählung auch die strafrechtliche (Nicht-)Aufarbeitung, die Erinnerungspolitik vor Ort und die persönliche und zivilgesellschaftliche Aufarbeitung.

Unterstützung und Förderung

„Gegen uns.“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. (VBRG) und der Opferberatung „Support“ des RAA Sachsen e. V. Die Plattform „Gegen uns.“ wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, mit Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und durch das Demokratiezentrum Sachsen. Die erste Episode zu Jorge Gomondai wurde maßgeblich mit Mitteln des Demokratiezentrums Sachsen sowie medico international realisiert.