Berlin, 29. September 2022
Prozessbeginn am Oberlandesgericht Koblenz am 16. November 2022 zum rassistischen Mord an Samuel Kofi Yeboah und neonazistischen Brandanschlag in Saarlouis am 19. September 1991
„Dieser Prozess hat eine wichtige Signalwirkung: Endlich wird die Kultur der Straflosigkeit für schwerste Gewalttaten von Neonazis durchbrochen. Die Strafverfolgung wäre ohne das erkämpfte Gedenken der Zivilgesellschaft vor Ort nicht zustande gekommen“, sagen Nebenklagevertreterin Kristin Pietrzyk und Ibrahim Arslan, Überlebender der rassistischen Anschläge von Mölln 1992.
Die saarländische Landesregierung muss endlich einen Rechtsterrorismus-Opferfonds zur Unterstützung der Überlebenden und Hinterbliebenen des Brandanschlags 1991 in Saarlouis einrichten, fordern Flüchtlingsrat Saarland e.V. und der Verband der Opferberatungsstellen (VBRG e.V.)
Interview im Saarländischen Rundfunk am 4. Oktober 2022 zum Rechtsterrorismus-Opferfonds im Saarland: SR-Mediathek: Region 04.10.2022, ab Minute 8:50
Am 16. November 2022 beginnt am Oberlandesgericht Koblenz der Prozess wegen des rassistischen Mordes an Samuel Kofi Yeboah und des neonazistischen Brandanschlags am 19. September 1991 in Saarlouis. Nachdem die Generalbundesanwaltschaft dreißig Jahre nach der Tat die Ermittlungen wieder aufnahm, wurde in 2022 Anklage wegen Mordes und versuchten Mordes in mehreren Fällen gegen einen Mann aus Saarlouis erhoben, der in den 1990er Jahren als Aktivist der Neonaziszene im Saarland bekannt war.
„Dieser Prozess am Oberlandesgericht Koblenz und die Strafverfolgung durch den Generalbundesanwalt hat eine wichtige Signalwirkung: Endlich wird mit der Kultur der Straflosigkeit für schwerste neonazistische Gewalttaten der 1990er Jahre gebrochen“, sagt Rechtsanwältin und Nebenklagevertreterin Kristin Pietrzyk.
Denn die über drei Jahrzehnte durch Polizei, Justiz und Verfassungsschutz im Saarland blockierte Strafverfolgung nach dem verheerenden Brandanschlag 1991 in Saarlouis ist kein Einzelfall. 380 rechtsextreme Brandanschläge registrierte das Bundesamt für Verfassungsschutz allein im Jahr 1991. Zwischen 1990 und 1992 ereigneten sich laut Verfassungsschutzberichten mindestens 1.129 rechtsextreme Brandanschläge, darunter auch der mörderische Brandanschlag auf das Haus der Familie Arslan in Mölln am 23. November 1992. In den allermeisten Fällen blieben die Täter straffrei, die Aufklärungsquote liegt unter 20 Prozent.
Die Überlebenden des Brandanschlags vom 19. September 1991 in Saarlouis leiden bis heute an den Folgen der Tat und unter der Angst den Tätern jederzeit erneut zu begegnen. „Die saarländische Landesregierung muss endlich einen Rechtsterrorismus-Opferfonds für die Überlebenden und Hinterbliebenen des Brandanschlags am 19. September 1991 in Saarlouis einrichten“, fordern Flüchtlingsrat Saarland e.V. und die Opferberatungsstellen des VBRG e.V.
Unentbehrlich: Zivilgesellschaftliches Gedenken
„Ohne das kontinuierliche Gedenken an Samuel Kofi Yeboah durch antifaschistische Bündnisse und den Flüchtlingsrat Saarbrücken wäre es zu dieser Strafverfolgung nie gekommen“, betont Ibrahim Arslan und erinnert: „Die Überlebenden sind die Hauptzeugen des Geschehens und keine Statisten“. Die jahrzehntelange Stigmatisierung und Kriminalisierung des Gedenkens an Samuel Kofi Yeboah in Saarlouis und die bis heute anhaltende Verweigerung einer angemessenen Entschädigung und Unterstützung für die Überlebenden des Brandanschlags seien jedoch keine Einzelfälle, sagt Fabian Reeker von der Opferberatung Rheinland. Dies zeige sich auch in der aktuellen Welle rassistischer Gewalt und Brandanschläge ab dem Jahr 2015.
Hohe Straflosigkeit bei rechten Brandanschlägen auch in 2015 bis 2017
Die Kriminologin Jana Berberich von der Ruhr Universität Bochum hat in einer aktuellen wissenschaftlichen Untersuchung Akten von Polizei und Justiz nach rassistischen und rechten Brandanschlägen in den Jahren 2015 bis 2017 in Nordrhein-Westfalen und Sachsen ausgewertet. Ihr Befund: Im Vergleich von 45 Ermittlungsverfahren aus NRW und 32 in Sachsen ist die Einstellungsquote von 91 Prozent in Nordrhein-Westfalen und 84 Prozent der Ermittlungsverfahren in Sachsen noch höher als in den 1990er Jahren. Lediglich 10 bis 15 Prozent aller Täter*innen werden überhaupt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
„Damit setzen sich die Kultur der Straflosigkeit und die Entstehungsbedingungen für weiteren rechten Terror fort“, warnt die Kriminologin. „Die hohe Einstellungsquote bei rechts motivierten Brandanschlägen ist besorgniserregend“, sagt Jana Berberich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Einzelfällen naheliegende Ermittlungsschritte – wie etwa Zeugenbefragungen von polizeibekannten Neonazis aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Tatorten – nicht stattfanden.
Pressekontakt:
VBRG e.V.
Heike Kleffner
info@verband-brg.de
Weitere Informationen:
Pressemitteilung „Rechte Brandanschläge, Straflosigkeit und Entschädigung“ als PDF herunterladen
Am Donnerstag, den 29. September 2022 fand die Open Lecture #5 „Brandanschläge und rechter Terror – eine aktuelle Bestandsaufnahme zu Strafverfolgung, Anerkennung, erkämpften Gedenken nach rassistischen und antisemitischen Brandanschlägen“ statt.
Am Donnerstag, den 6. Oktober erscheint die neue Folge vom „Vor Ort“-Podcast von VBRG e.V. und NSU-Watch zum Thema „Rechte Brandanschläge, Straflosigkeit und Entschädigung“