Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Deutschland 2021 – Jahresbilanzen der Opferberatungsstellen

10.05.2022

Die Opferberatungsstellen im VBRG haben ihre Bilanzen zum Ausmaß rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt im Jahr 2021 veröffentlicht. In neun von 16 Bundesländern wurden insgesamt 1391 rechte, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert. Fünf Menschen starben durch rechte Tötungsdelikte von Anhängern der Coronaleugnerbewegung. Rassismus ist erneut das Hauptmotiv bei 2/3 der Angriffe. Täglich werden mindestens vier Menschen Opfer rechts, rassistisch oder antisemitisch motivierter Gewalt. Die Beratungsstellen stellen außerdem eine gravierende Untererfassung rechter Gewalt durch Strafverfolgungsbehörden fest –  auch bei schweren Gewalttaten. Hier finden Sie alle Informationen.

Übersicht:

Pressemitteilung des VBRG e.V. vom 10.05.2021

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in 2021: Eine alarmierende Bilanz der unabhängigen Opferberatungsstellen

Rechte Gewalt durch Anhänger*innen der Coronaleugner-Bewegung und von Verschwörungsideologien forderte in 2021 fünf Todesopfer ++ Trotz teilweise massiver Pandemiebeschränkungen ereigneten sich täglich bis zu vier rechte Angriffe alleine in neun von 16 Bundesländern ++ Rassismus ist bei rund 2/3 der Fälle das dominante Tatmotiv ++ 1.830 Menschen waren 2021 von 1.391 politisch rechts motivierten Gewalttaten allein in Ostdeutschland, Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein direkt betroffen. ++

„Das sichtbare Ausmaß rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ist dramatisch – trotz monatelanger pandemiebedingter Ausgangsbeschränkungen. Viele Menschen werden in ihrem direkten Lebens- und Wohnumfeld durch die unerträgliche Normalität von Antisemitismus und Rassismus massiv verletzt, bedroht und gedemütigt“, sagt Robert Kusche vom Vorstand des VBRG e.V. ++ Neben Rassismus und Rechtsextremismus in den Polizeibehörden muss auch die Justiz stärker in den Fokus genommen werden. „Wir ziehen mehr als zwei Jahre nach dem 19. Februar 2020 eine bittere Bilanz: Die Versprechen der Politik an uns als Hinterbliebene und Überlebende des Attentats von Hanau sind immer noch nicht erfüllt“, kritisiert Said Etris Hashemi, Bruder von Said Nesar Hashemi, Überlebender und Hinterbliebener des Attentats vom 19. Februar in Hanau. ++

In 2021 starben der 20-jährige Tankstellenmitarbeiter Alex W. in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) sowie drei Kinder und ihre Mutter in Senzig (Brandenburg) bei rechts motivierten Tötungsdelikten durch bewaffnete Anhänger von Verschwörungsideologien und der Coronaleugner-Bewegung. Damit haben 17 Menschen seit 2019 durch Rechtsterrorismus, Rassismus und rechte Gewalt ihr Leben verloren. Die Angehörigen und die Überlebenden der rechtsterroristischen Attentate kämpfen weiterhin mit gravierenden Konsequenzen. „Der vielfach von Rassismus geprägte Umgang mit den Betroffenen durch Polizei und Justiz sowie rechtsextreme Netzwerke und Gruppen in Sicherheitsbehörden verstärken die Unsicherheit bei vielen Menschen“, sagt Robert Kusche vom VBRG e.V. Die im VBRG e.V. zusammengeschlossenen Beratungsstellen haben für das Jahr 2021 ein anhaltend hohes Niveau von rechten Gewalttaten in den ostdeutschen Bundesländern, Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein dokumentiert.

  • Trotz monatelanger Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Pandemie wurden 1.391 rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe mit 1.830 Betroffenen registriert.
  • Damit wurden in mehr als der Hälfte aller Bundesländer im Jahr 2021 täglich mindestens drei bis vier Menschen Opfer rechter Gewalt.
  • Rassismus war auch 2021 – wie schon in den Vorjahren – das bei weitem häufigste Tatmotiv. Rund zwei Drittel aller Angriffe (816 Fälle) waren rassistisch motiviert und richteten sich überwiegend gegen Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrungen und Schwarze Deutsche.
  • Im Vergleich zu den Vorjahren wurde erneut ein Anstieg bei Angriffen gegen sogenannte politische Gegner*innen (317 Fälle) registriert.
  • Unter den Betroffenen sind auch 51 Gewalttaten gegen Journalist*innen, die von der Coronaleugner-Bewegung als „Lügenpresse“ diffamiert, angegriffen und bedroht wurden.
  • Fast ein Sechstel der Betroffenen sind besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche (288 Betroffene).

Eine bittere Bilanz: Die Versprechen der Politik an die Hinterbliebenen und Überlebenden des Attentats von Hanau sind immer noch nicht erfüllt.

„Wir erwarten von der jetzigen Bundesregierung, dass Opfer von Terrorismus endlich eine unbürokratische Grundrente mit einer angemessenen Existenzsicherung erhalten“, betont Said Etris Hashemi weiter. „Denn das derzeitige sogenannte Opferentschädigungsgesetz ist ein bürokratisches Monstrum, das abgeschafft werden muss. Dessen Bestimmungen verhindern den Aufbau von Zukunftsperspektiven und degradieren uns zu Bittstellern – wie schon zu viele andere Überlebende und Hinterbliebene, etwa des OEZ-Attentats und des Oktoberfest-Attentats.“

Expert*innen warnen vor neuen rechten Bewegungen als Ausgangspunkt für rechte Gewalt und Rechtsterrorismus

„Seit Beginn der Pandemie sehen wir eine bedrohliche Zunahme von Bewaffnung und Tag-X-Terrorplänen in den rechten Bewegungen der Coronaleugner*innen, Anhänger*innen von Verschwörungsideologien und Reichsbürger*innen. Diese hat sich im dritten Pandemiejahr noch einmal verschärft. Die Auswirkungen zeigen sich auch in der Legitimierung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine in diesen Milieus und Netzwerken“, warnt Pia Lamberty, Sozialpsychologin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation CeMAS – Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Die Erfahrung von Straflosigkeit für permanente Regelbrüche und die Normalisierung von Antisemitismus und Rassismus schaffen den Nährboden für schwerste Gewalttaten insbesondere gegen Menschen, die stellvertretend für ganze Gruppen als politische Gegner*innen angesehen werden.

Rechte Gewalt in 2021: Anstieg in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen, hohe Angriffszahlen in sechs anderen Bundesländern

In den ostdeutschen Bundesländern sowie in Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, in denen ein unabhängiges und einheitliches Monitoring rechter Gewalt durch die Opferberatungsstellen veröffentlicht wird, blieb die Anzahl der in 2021 registrierten rechten Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr konstant hoch. Die Entwicklung ist in den Bundesländern jedoch uneinheitlich. Gemessen an der Einwohnerzahl wurden im unabhängigen Monitoring die meisten rassistischen und rechten Gewalttaten in Berlin (9,1 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen), Sachsen-Anhalt (7,1 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen), Brandenburg (5,9 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) und Thüringen (5,6 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) registriert.

  • In Brandenburg, Thüringen und Nordrhein-Westfalen (1,9 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) hat rechte Gewalt im Vergleich zum Vorjahr zugenommen.
  • In Berlin, Sachsen-Anhalt und Sachsen (4,6 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) bleibt rechte Gewalt mit einem minimalen Rückgang auf einem anhaltend hohen und besorgniserregenden Niveau.
  • Allein in Mecklenburg-Vorpommern (4,1 Angriffe je 100.000 Einwohner*innen) konnte ein starker Rückgang registriert werden, der vor allem auf den nachhaltigen Vertrauensverlust in die Strafverfolgungsbehörden u.a. durch den „Nordkreuz“-Komplex sowie auf die Coronamaßnamen der letzten zwei Jahre zurückzuführen ist.
  • Wie schon in den Vorjahren ist die Zahl erfasster rechter Gewalttaten in westdeutschen Flächenländern wie Schleswig-Holstein (2,6 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) und im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (1,9 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) und Baden-Württemberg (0,61) im Vergleich zu Ostdeutschland und Berlin geringer.

Untererfassung rechter Gewalt durch Strafverfolgungsbehörden wächst und behindert wirksame Gegenmaßnahmen

Wie schon in den Vorjahren gehen die Opferberatungsstellen auch in 2021 von einer hohen Anzahl nicht registrierter rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten sowie von einer eklatanten Untererfassung von rassistischen, antisemitischen und rechten Tatmotivationen durch Polizei und Justiz aus. „Wir sehen mit Besorgnis, dass die Untererfassung rechter Gewalt zunimmt. Dies zeigt sich insbesondere auch bei der Verortung von Gewalttaten durch Anhänger*innen von Verschwörungsideologien und der Coronaleugner-Bewegung in der polizeilichen Kategorie ‚PMK nicht zuzuordnen/verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates’“, sagt Robert Kusche. So wird etwa der Mord an Alex W. in Idar-Oberstein durch einen Anhänger von Verschwörungsideologien nicht als politisch rechts motiviertes Tötungsdelikt anerkannt, wohingegen die tödlichen Schüsse auf vier Angehörige der Familie R. in Senzig durch einen Anhänger der Coronaleugner-Bewegung als antisemitisch motiviertes Tötungsdelikt in der Kategorie ‚PMK Rechts gewertet’ wird. Oft ist es nur den Angegriffenen zu verdanken, dass rassistisch und rechts motivierte Gewalttaten durch Coronaleugner*innen und polizeibekannte Rassist*innen überhaupt bekannt werden – wie etwa bei dem Angriff auf die 17-jährige Dilan S. im Februar 2022 in Berlin. „Die rassistische Täter-Opfer-Umkehr, mit der die Polizei Berlin die Tatversion der Angreifer übernahm, ist kein Einzelfall“, betont Robert Kusche. Die nach wie vor mangel- und lückenhafte Erfassung und Anerkennung von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus als Tatmotive durch Polizei und Justiz verschleiert das Ausmaß der Bedrohung und Dimensionen rechter Gewalt und lässt die Betroffenen im Stich“, resümiert Robert Kusche.

Pressekontakte, Anlagen und Verweise

VBRG e.V., www.verband-brg.de, @rechte_gewalt
E-Mail: info(at)verband-brg.de

Initiative 19. Februar Hanau, https://19feb-hanau.org/
E-Mail: presse(at)19feb-hanau.org

Pia Lamberty, Geschäftsführerin von CeMAS – Center für Monitoring, Analyse und Strategie, https://cemas.io/
E-Mail: pia.lamberty(at)cemas.or

Pressekonferenz zur Jahresstatistik „Rechte Gewalt 2021“ am 10.05.2021

Statements von Robert Kusche  (Vorstandsmitglied VBRG e.V., Geschäftsführer RAA Sachsen e.V.), Said Etris Hashemi (Überlebender und Hinterbliebener des Attentats vom 19. Februar in Hanau) und Pia Lamberty (Geschäftsführerin von CeMAS – Center für Monitoring, Analyse und Strategie) in der Bundespressekonferenz.

Pressespiegel

Watson vom 14.05.2022: Demokratie fördern, aber wie? Was gegen rechte Gewalt getan werden kann und muss 
Watson vom 14.05.2022: Drei Baustellen im Kampf gegen Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden – und was sich ändern soll

Gesicht zeigen vom 12.05.2022: Kein Anstieg rechtsextremer Gewalt?

Belltower vom 10.05.2022: Neues Hoch durch massiven Antisemitismus und „Querdenken“
Deutschlandfunk vom 10.05.2022:Was denkt die russische Bevölkerung über den Krieg?
dw.com vom 10.05.2022: Auslöser Corona: Politisch motivierte Kriminalität boomt
Evangelisch vom 10.05.2022: Expertin warnt vor Bewaffnung und Tag-X-Plänen in rechten Bewegungen
Frankfurter Rundschau vom 10.05.2022: Rasanter Anstieg bei politischen Straftaten
MiGAZIN vom 10.05.2022: Zahl politischer Straftaten erreicht neuen Höchststand
nd – Journalismus von Links vom 10.05.2022: Statistisch schlecht erfasst
NDR vom 10.05.2022: Corona-Blog 16:29 | BKA: Mehr Extremismus durch Debatte über Corona-Maßnahmen
Rheinische Post vom 10.05.2022: Die Corona-Pandemie ebbt ab, die Querdenker bleiben
rnd vom 10.05.2022: Politisch motivierte Kriminalität erreicht Höchststand – Experten warnen vor Dunkelziffer
Täglicher Anzeiger vom 10.05.2022: Beratungsstellen werfen Behörden Untererfassung rechter Gewalt vor
Tagesspiegel vom 10.05.2022: Höchststand bei politisch motivierten Delikten. Mehr als 50.000 Straftaten durch Fanatiker in 2021
Tagesspiegel vom 10.05.2022: Staat und Zivilgesellschaft müssen gemeinsam den Fanatikern entgegentreten
taz vom 10.05.2022: Nicht zu fassende Gewalt
T-Online vom 10.05.2022: Es gibt sehr viel zu tun
SWR vom 10.05.2022: Baden-Württemberg: Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt: 68 Fälle im vergangenen Jahr
watson vom 10.05.2022: Mehr Gewalt durch Corona-Leugner – „Eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen“
Web.de vom 10.05.2022: Ein polarisiertes Land: Politisch motivierte Kriminalität erreicht Höchststand
ZDF vom 10.05.2022: Gewalt von rechts: Statistik mit Leerstelle

Video:
ZDF Mittagsmagazin vom 13.05.2022: Die Zahlen können einen nicht überraschen
Jung &Naiv vom 10.05.2022: Jahresbilanz rechte Gewalt & Coronaleugner-Gewalt | BPK 10. Mai 2022
Tagesschau vom 10.05.2022: Tagesthemen (ab Minute 5:08)
Welt Nachrichtensender vom 10.05.2022: Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Menschen im Land

Podcast:
BR Podcast vom 15.05.2022: Politik und Hintergrund | Finnland und Schweden wollen in die Nato | Bilanz Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt 2021 (ab 7:48)
Tagesanbruch von t-online vom 11.05.2022: „Jeden Morgen wissen, was wichtig ist.“

Internationale Artikel:

Aydinlik.com.tr vom 15.05.2022: Almanya’da her gün 4 kişi, ırkçı şiddetin hedefi oluyor

california18 vom 14.05.2022: Promoting democracy, but how? What can and must be done against right-wing violence

california18 vom 13.05.2022: Three construction sites in the fight against right-wing extremism in security agencies – and what should change

Anadolu Agency vom 12.05.2022: Rights activists urge Germany to do more to combat far-right crimes
en.haberler.com vom 12.05.2022: Rights Activists Urge Germany To Do More To Combat Far-Right Crimes
sondakika-haberleri.net vom 12.05.2022: Rights Activists Urge Germany To Do More To Combat Far-Right Crimes Son

aydinlik vom 11.05.2022: Almanya’da her gün en az 4 kişi ırkçı veya Yahudi aleyhtarı şiddetin mağduru oluyor
benguturk.com vom 11.05.2022: Almanya’da her gün en az 4 kişi ırkçı veya Yahudi aleyhtarı şiddetin mağduru oluyor
dogus.nl vom 11.05.2022: “Her Gün 4 Kişi Irkçı ya da Antisemitist Şiddet Mağduru Oluyor”
euturkhaber.com vom 11.05.2022: Almanya’da her gün en az 4 kişi ırkçı veya Yahudi aleyhtarı şiddetin mağduru oluyor
HABERIMIZDE vom 11.05.2022: Almanya’da her gün en az 4 kişi ırkçı veya Yahudi aleyhtarı şiddetin mağduru oluyor
Hakikat vom 11.05.2022: Almanya’da her gün en az 4 kişi ırkçı veya Yahudi aleyhtarı şiddetin mağduru oluyor
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