Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Deutschland 2020 – Jahresbilanzen der Opferberatungsstellen

04.05.2021

Die Opferberatungsstellen im VBRG haben ihre Bilanzen zum Ausmaß rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt im Jahr 2020 veröffentlicht. In acht von 16 Bundesländern wurden insgesamt 1322 rechte, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert. Neun Menschen starben beim rassistisch und rechtsterroristisch motivierten Attentat in Hanau, zwei Menschen wurden Opfer homofeindlich motivierter Tötungsdelikte. Täglich wurden durchschnittlich bis zu vier Menschen angegriffen – trotz Ausgangsbeschränkungen in der Pandemie. Rassismus ist auch im Jahr 2020 das Hauptmotiv bei 2/3 der Angriffe. Die Beratungsstellen stellen außerdem eine gravierende Untererfassung durch Strafverfolgungsbehörden auch bei schweren rechts, rassistisch und antisemitisch motivierten Gewalttaten fest. Hier finden Sie alle Informationen.

Übersicht:

Pressemitteilung des VBRG e.V. vom 04.05.2021

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt 2020: Eine mörderische Bilanz

„Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu starben am 19. Februar 2020 beim rassistisch motivierten rechtsterroristischen Attentat in Hanau“, sagt Judith Porath vom Vorstand des VBRG e.V. . „Zu der mörderischen Bilanz von Rassismus, Rechtsterrorismus und rechter Gewalt im vergangenen Jahr gehört auch, dass zwei Menschen in Sachsen und Thüringen durch homofeindlich motivierte Gewalt starben.“

Die im VBRG e.V. zusammengeschlossenen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt haben für das Jahr 2020 ein anhaltend hohes Niveau von rechten Gewalttaten in den fünf ostdeutschen Bundesländern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein dokumentiert. In den acht Bundesländern wurden – trotz der Einschränkungen des öffentlichen Lebens in der Coronapandemie – 1.322 rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe registriert. Damit wurden in der Hälfte aller Bundesländer im Jahr 2020 täglich mindestens drei bis vier Menschen Opfer rechter Gewalt. Von den 1.922 direkt von diesen Taten Betroffenen sind fast ein Fünftel besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche (339 Bettroffene).

Rassismus war auch 2020 – wie schon in den Vorjahren – das bei weitem häufigste Tatmotiv. Rund zwei Drittel aller Angriffe (809 Fälle) waren rassistisch motiviert und richteten sich überwiegend gegen Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung und Schwarze Deutsche. Anti-asiatischer Rassismus gegen Menschen mit asiatischen Wurzeln hat in der Pandemie sowohl durch Gewalttaten als auch Diskriminierungen und Beleidigungen ebenfalls zugenommen. Eine weitere große Gruppe, bei der im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg zu verzeichnen ist, ist die Gruppe der sogenannten politischen Gegner*innen (237 Fälle).

Was jetzt gebraucht wird: Ein Rechtsterrorismus-Opferfonds in Hessen und materielle Solidarität statt Sonntagsreden

„Die Forderungen der Hinterbliebenen und Überlebenden des Attentats von Hanau nach Aufklärung, Strafverfolgung und angemessener Unterstützung müssen endlich erfüllt werden“, sagt Newroz Duman von der Initiative 19. Februar in Hanau. Die CDU/GRÜNEN-Koalitionsregierung müsse endlich die gravierende Lücke bei der materiellen Unterstützung der Hinterbliebenen und Überlebenden schließen. „Mehr als 50.000 Menschen unterstützen deshalb mit einer Petition die Einrichtung eines Rechtsterrorismus-Opferfonds von der hessischen Landesregierung aus CDU und Bündnis90/DIE GRÜNEN. „Trotz aller Sonntagsreden und Bekenntnisse des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus werden die Überlebenden und Angegriffenen rechter Gewalt zu Bittstellern reduziert und allzu oft vom Rechtsstaat im Stich gelassen“, sagt Newroz Duman.

Expert*innen kritisieren weitere Normalisierung von Antisemitismus und Rassismus in der Coronakrise

„In der Coronakrise sehen wir eine bedrohliche Normalisierung von Antisemitismus und Rassismus, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Teilhabe der Angegriffenen bedrohen“, warnt Benjamin Steinitz vom Bundesverband RIAS.  „Bei einigen Protesten gegen die Infektionsschutzmaßnahmen tritt, bei aller Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden, der dauernd latent vorhandene Antisemitismus hinter dem Verschwörungsdenken nun offen zutage“, sagt Benjamin Steinitz.  „Die sehr rasante Dynamik der Aufheizung in den vergangenen Monaten – von permanenten Regelverletzungen über aggressives Verhalten und Bedrohungen sowohl vor Ort als auch in Social Media Kanälen bis zu Mordaufrufen und Gewalt – schafft den Nährboden für schwerste Gewalttaten gegen gesellschaftliche Minderheiten. “

Rechte Gewalt in 2020: Anstieg in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, gleichbleibend hohe Angriffszahlen in sechs anderen Bundesländern

In den acht Bundesländern in Ostdeutschland, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, in denen ein unabhängiges Monitoring rechter Gewalt durch die Opferberatungsstellen möglich ist, sank die Anzahl der in 2020 registrierten rechten Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr insgesamt lediglich um zwei Prozent. Die Entwicklung ist in den Bundesländern jedoch uneinheitlich. Gemessen an der Einwohnerzahl hat rassistische und rechte Gewalt in Sachsen-Anhalt (7,1 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) im Vergleich zum Vorjahr zugenommen, in Berlin (9,7 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen), Brandenburg (5,1 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen), Sachsen (5,1 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen), Mecklenburg-Vorpommern (5,7 Angriffe je 100.000 Einwohner*innen) und Thüringen (4,7 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) bleibt rechte Gewalt trotz leichten Rückgangs auf einem anhaltend hohen und besorgniserregenden Niveau. Wie schon in den Vorjahren ist die Zahl rechter Gewalttaten in westdeutschen Flächenländern wie Schleswig-Holstein (Anstieg von 1,9 (2019) auf 2,7 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) und im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (1,1 Angriffe pro 100.000 Einwohner*innen) im Vergleich zu Ostdeutschland und Berlin geringer.

Diskrepanz zwischen Zahlen der Beratungsstellen und Strafverfolgungsbehörden konstant hoch

In 2019 hatte das BKA für das gesamte Bundesgebiet lediglich 759 PMK Rechts Hassgewalttaten festgestellt, während die Opferberatungsstellen in den ostdeutschen Bundesländern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein im gleichen Jahr 1.347 rechte Angriffe für acht Bundesländer dokumentiert hatten. „Wir sehen, dass die Diskrepanz zwischen den durch die Strafverfolgungsbehörden in der Kategorie „Hasskriminalität rechts“ in der Gesamtkategorie PMK-Rechts Gewalttaten registrierten Angriffen und den Zahlen der Opferberatungsstellen konstant hoch bleibt “, sagt Judith Porath. „Wie schon in den Vorjahren fehlen in den Jahresbilanzen der Strafverfolgungsbehörden der Länder und des BKA zahlreiche Gewalttaten aus 2020, in denen die Täter mit unglaublicher Brutalität vorgegangen sind und offensichtlich aus rassistischer und rechter Motivation gehandelt haben. Dabei haben die Betroffenen die Schussverletzungen, Tritte, Schläge und Messerstiche der rechten Täter oft nur durch glückliche Umstände überlebt. „Die nach wie vor mangel- und lückenhafte Erfassung und Anerkennung von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus als Tatmotive durch Polizei und Justiz verschleiert das Ausmaß der tödlichen Dimension rechter Gewalt und lässt die Betroffenen im Stich“, betont Judith Porath und verweist auf acht Beispielfälle aus Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, die von den Strafverfolgungsbehörden nicht als PMK Rechts Gewalttaten aufgenommen wurden. (s. Pressemitteilung des VBRG e.V. vom 16.4.2021)

Pressekonferenz zur Jahresstatistik „Rechte Gewalt 2020“ am 04.05.2021

Statements von Judith Porath (Vorstandsmitglied VBRG e.V., Geschäftsführerin Opferperspektive e.V.), Newroz Duman (Initiative 19. Februar Hanau) und Benjamin Steinitz (Geschäftsführer Bundesverband RIAS) in der Bundespressekonferenz.

Pressespiegel:

Tagesschau Online vom 04.05.2021: [Video] Rechte Angriffe nehmen zu- Beratungsstellen sehen anhaltend hohes Niveau
Tagesschau Online vom 04.05.2021: Daten des Bundeskriminalamts: Politisch motivierte Gewalt nimmt deutlich zu
Süddeutsche Online vom 04.05.2021: So viele rechts motivierte Straftaten wie noch nie
Deutschlandfunk vom 04.05.2021: Opferberatung verzeichnet mehr rassistische Attacken auf Kinder und Jugendliche
Tagesspiegel vom 04.05.2021: Verband zieht mörderische Bilanz Jeden Tag drei bis vier Opfer rechter Gewalt
Jüdische Allgemeine vom 04.05.2021: Opferberatung verzeichnet mehr antisemitische Angriffe
Hessischer Rundfunk vom 05.05.2021: [Audio] Politisch motivierte Gewalt: Rechtsextremismus und Rassismus ernsthaft begegnen
Taz Online vom 04.05.2021: Höchststand bei rechter Gewalt
ND Online vom 04.05.2021: Latente Pandemie rechte Gewalt
Blick Nach Rechts vom 04.05.2021: Hasskriminalität erheblich angewachsen
RBB24 vom 04.05.2021: Beratungsstellen zählten 2020 mehr als 1.300 rechte Angriffe
Migazin vom 04.05.2021: Opferberatungsstellen registrieren 1.322 rechte Angriffe
Belltower News vom 04.05.2021: Neues Hoch bei rechtsextremen Straftaten
Nürnberger Blatt vom 04.05.2021: Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt registrieren weiter viele Straftaten
Sächsische Online vom 04.05.2021: Jeden Tag drei bis vier Opfer rechter Gewalt
Köllnische Rundschau vom 04.05.2021: BKA registriert Anstieg politisch motivierter Gewalt – Kritik von Opferschützern
Stuttgarter Zeitung vom 04.05.2021: Polizei registrierte 2020 mehr politisch motivierte Straftaten

Pressemitteilungen zu den Jahresbilanzen 2020 der Opferberatungsstellen:

Berlin: Pressemitteilung ReachOut Berlin vom 09.03.2021
Brandenburg: Pressemitteilung Opferperspektive e.V. vom 09.03.2021/ Jahresstatistiken 2002 – 2020
Mecklenburg-Vorpommern: Pressemitteilung LOBBI vom 29.03.2021
Nordrhein-Westfalen: Pressemitteilung Opferberatung Rheinland [OBR] und BackUp vom 13.04.2021
Sachsen-Anhalt: Pressemitteilung Mobile Opferberatung Sachsen-Anhalt vom 15.04.2021 / Jährliche Statistiken
Sachsen: Pressemitteilung des RAA Sachsen e.V. vom 15.03.2021 / Jahresstatistiken 2006 – 2020
Schleswig-Holstein: Pressemitteilung zebra e.V.
Thüringen: Pressemitteilung Opferberatungsstelle ezra vom 14.04.2021

Jahresbilanzen, Statistiken und Einschätzungen der VBRG-Mitgliedsorganisationen 2020

Situationsbeschreibung der Beratungsstelle B.U.D. für Bayern 2020

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Bayern 2020

Die Angriffe reichen von Bedrohungen und Nötigungen, massiven Sachbeschädigungen bis hin zu Körperverletzungen und versuchten Tötungsdelikten.

So zünden Unbekannte in Passau das Auto einer migrantischen Familie an, das vor dem Wohnhaus steht; in unmittelbarer Nähe wird ein Hakenkreuzgraffiti angebracht. Das Auto brennt vollständig aus, wodurch die Familie in eine finanzielle Notlage kommt.

B.U.D. erfährt außerdem von sehr schweren Angriffen aus rechten und rassistischen Motiven: Unter anderem wird in Schweinfurt ein junger Mann von einem Neonazi mit einem Messer angegriffen und so schwer verletzt, dass er nur knapp überlebt. In der Nähe von Ingolstadt kann eine Politikerin der Linkspartei einen rechten Angriff, bei dem sie stranguliert wird, nur knapp abwehren.

Bundes- und Landespolitiker*innen sind 2020 vielfach ein Ziel rechter Einschüchterungsversuche und zeigen auch in Bayern die bedrohliche Situation für demokratische Akteur*innen: Abgeordnete aus Bundes- und Landtag werden bedroht oder ihre Büros angegriffen, weil sie sich für ein solidarisches Zusammenleben und demokratisches Gemeinwesen engagieren. In Zusammenhang mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen sind Kommunalpolitiker*innen und Beschäftigte in öffentlichen Einrichtungen ein Ziel rechter Angriffe. So wird der Bürgermeister von Neustadt an der Waldnaab nach einem kritischen Kommentar zu „Querdenken“ mit dem Tode bedroht und vor dem Rathaus wird gegen ihn demonstriert.

Auch Journalist*innen und gegen rechts engagierte Personen wenden sich an B.U.D., weil sie bei den Versammlungen von Corona-Leugner*innen und -Verharmloser*innen bedroht oder angegriffen werden. Wenn Journalist*innen nicht ohne Übergriffe auf sie berichten können, ist dies auch ein Problem für die Pressefreiheit: Auf der Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen sinkt der berechnete Wert zum Stand der Pressefreiheit in Deutschland 2020 aufgrund der zahlreichen Übergriffe auf Journalist*innen von „gut“ auf „zufriedenstellend“.[1]

Ebenfalls im Zusammenhang mit den genannten Protesten stehen eine Vielzahl von antisemitischen Vorfällen, die die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern zusammenträgt. In ihrer im Januar 2021 veröffentlichten Broschüre werden Verschwörungsdenken und Antisemitismus im Kontext von Corona analysiert und aufgeführt.[2]

Neben den Betroffenen und Zeug*innen rechter Angriffe gibt es 2020 mehrere Beratungsanfragen von Personen, die aufgrund ihrer Anzeige rechter Vorfälle bei der Polizei und vor Gericht aussagen müssen. Sie nehmen Kontakt zur Betroffenenberatung auf, weil sie Sorge haben, selbst in das Visier von Rechten zu geraten. Auch das Bekanntwerden mehrerer rechter Vorfälle in Polizei und Sicherheitsbehörden verstärkt bei den Betroffenen oftmals diese Angst.

Ähnlich gelagert sind Anfragen von Personen, die sich gegen rechts engagieren oder von Rassismus Betroffene unterstützen und dadurch selbst angefeindet werden. Auch in diesen Fällen versucht B.U.D. die Beratungsnehmenden zu stärken und Unterstützung im Umgang mit rechten Vorfällen anzubieten.

Viele Ratsuchende wenden sich aufgrund von als unrechtmäßig empfundenen Polizeieinsätzen an B.U.D. Eine regelmäßige Kontrolle und Durchsuchung wird von vielen als rassistisch diskriminierend wahrgenommen. Ein Arzt schildert etwa, dass er auf seinem Weg zu Arbeit innerhalb von 6 Monaten 10 Mal kontrolliert wird.

Andere berichten von gewalttätigen Polizeieinsätzen, die sie als rassistisch motiviert einschätzen. So schildert ein Geflüchteter in seiner Unterkunft von Polizeibeamten attackiert worden zu sein: Statt auf Deeskalation setzen die Beamten auf Gewalt. Der Betroffene wird im Anschluss von den Polizeibeamten wegen tätlichen Angriffs angezeigt und entkommt erst in einer Gerichtsverhandlung einer Verurteilung, weil sich auch dem Gericht die Situation anders als in der Anklage beschrieben darstellt. Die Polizeibeamten werden wegen ihrer Gewaltanwendung nicht angezeigt.

2020 wenden sich Familien an B.U.D., die mit rassistischem Mobbing in direkter Nachbarschaft zu kämpfen haben. Sie berichten, dass Nachbar*innen immer wieder Streit suchen, der rassistisch motiviert bzw. rassistisch konnotiert ist. Gerade die pandemiebedingten Einschränkungen, in Folge derer viele Menschen deutlich mehr Zeit zu Hause verbringen als vorher, können das Problem rassistischen Mobbings in der Nachbarschaft verschärfen. Auch direkte Angriffe und massive Sachbeschädigungen finden in mehreren Fällen im direkten Wohnumfeld statt.

Gerade für die Betroffenen dieser Angriffe ist ein Umgang schwierig, weil der Rückzugsort des eigenen Zuhauses verloren geht und die Möglichkeiten sich zu wehren limitiert sind. Diese permanente Bedrohung hat gravierende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen.

Für B.U.D. zeigt sich im Jahr 2020 deutlich, dass die Wahrnehmung und Einordnung rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe durch die zuständigen Behörden problematisch sind. Viele Fälle werden nicht als rechtsmotiviert eingeordnet. Dazu gehört auch der Angriff in Schweinfurt auf einen Geflüchteten durch einen Neonazi oder ein von rassistischen Parolen begleiteter Angriff dreier mit Metallstangen und Holzstücken bewaffneter Männer auf eine migrantische Familie in Coburg.

In vielen Fällen, in denen die Polizei die Tat als rechtsmotiviert einordnet, fehlen diese Informationen in der Pressemeldung oder auf eine Pressemeldung wird gänzlich verzichtet. All dies führt dazu, dass die Perspektiven der Betroffenen nicht wahr oder ernst genommen werden und eine zivilgesellschaftliche sowie politische Auseinandersetzung mit rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt erschwert wird.

Ein mutmaßlich neonazistischer Brandanschlag auf ein von Menschen türkischer Herkunft bewohntes Haus in Kempten im Jahr 1990 wurde 2020 neu aufgerollt. Bei dem Anschlag starb ein 5-jähriges Kind. Die Polizei ermittelte 1990 dennoch wegen schwerer Brandstiftung, heute wird wegen Mordes ermittelt und auch ein neonazistisches Bekennerschreiben endlich stärker in den Blick genommen. Nicht nur dieser Fall zeigt, dass eine unabhängige Überprüfung alter Todesfälle auf einen rechten Hintergrund notwendig ist.

[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021

[2] https://report-antisemitism.de/documents/RIAS_Bayern_Monitoring_Verschwoerungsdenken_und_Antisemitismus_im_Kontext_von_Corona.pdf

Situationsbeschreibung der Beratungsstelle BEFORE in München

Die Pandemie als Brandbeschleuniger: Diskriminierungen und rechte, gruppenbezogen menschenfeindliche Gewalt in München 2020

Wie schon in den vier vorangegangenen Jahren stieg die Anzahl der Beratungsfälle 2020 bei BEFORE weiter stark an: im Vergleich zum Vorjahr wurden über 35% mehr Fälle beraten. Die Opferberatung für Betroffene von rechter, gruppenbezogen menschenfeindlicher Gewalt begleitete in 159 Fällen insgesamt 215 Ratsuchende. Damit geht der Anstieg der Fallzahlen ungebrochen weiter: 2019 beriet die Opferberatung von BEFORE noch in 114 Fällen. Da die Auswirkungen von Diskriminierungen und Angriffen mitunter lange Zeit anhalten, unterstützt BEFORE zudem zahlreiche Betroffene, die schon vor 2020 in die Beratung gekommen sind.

Im vergangenen Jahr hat die Opferberatung von BEFORE Betroffene begleitet, die sich vielfältigen Angriffen ausgesetzt sahen: Körperverletzungen und versuchte Körperverletzungen spielten in 48 Fällen eine Rolle, Tötungen in acht Beratungsverhältnissen. In 66 Fällen wurden etwa Betroffene beleidigt, in 68 Fällen gab es Drohungen beziehungsweise Nötigungen gegen Ratsuchende. In 99 Fällen spielten sonstige Arten von Angriffen eine Rolle wie zum Beispiel Hatespeech, die Veröffentlichung von persönlichen Daten im Internet oder Falschverdächtigungen. Rechte, gruppenbezogen menschenfeindliche Gewalt zeigte sich 2020 in München also wieder in sehr unterschiedlichen Formen – oberhalb wie unterhalb der Strafbarkeitsschwelle.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie waren in der Beratungsarbeit von BEFORE zu spüren. Deutlich mehr Fälle in der Opferberatung spielten sich 2020 im häuslichen Umfeld ab – die Zahl dieser Beratungsfälle verdreifachte sich im Vergleich zu 2019.

Unter den Bedingungen des Lockdowns verbrachten die Menschen in München 2020 zwangsläufig viel mehr Zeit in ihrer Wohnung. Wenn sie dann in diesem intimen Rückzugsort zum Ziel von Angriffen, etwa von Nachbar*innen werden, hat das gravierende Folgen. Betroffene müssen daher unbedingt geschützt und unterstützt werden – ganz besonders seitens der Vermieter*innen. Mieter*innen müssen etwa bei Immobilienverwaltungen Ansprechpartner*innen haben, die sich aktiv um Probleme wie rassistische und andere gruppenbezogen menschenfeindliche Angriffe kümmern.

BEFORE beobachtete 2020 in München einen Anstieg von rassistischen Diskriminierungen und Angriffen gegen Menschen, die als asiatisch gelesen werden. Betroffene werden oft mit Bezug zu ihrer (angenommenen) Herkunft und der Corona-Pandemie angefeindet, beschimpft, bedroht und angegriffen. Der Anstieg von antiasiatischem Rassismus ist eine Herausforderung für die gesamte Münchner Stadtgesellschaft. Sie muss sich vor die Betroffenen stellen und deutlich machen, dass sie Rassismus auch in der Corona-Pandemie konsequent entgegentritt.

Download: Vollständige Pressemitteilung und Beratungsbilanz der Beratungsstelle BEFORE 2020

Pressemitteilung vom 15.02.2021 der Beratungsstelle LEUCHTLINIE in Baden Württemberg

Mehr Beratungen für Betroffene von rechter Gewalt

Trotz Corona stieg 2020 in Baden-Württemberg die Anzahl der Beratungen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bei der Fachstelle LEUCHTLINIE

Nach einschneidenden und belastenden Erlebnissen rassistisch motivierter Bedrohungen und Gewalterfahrungen ergaben sich im vergangenen Jahr für 110 Menschen in Baden-Württemberg Beratungsprozesse bei der Hilfseinrichtung LEUCHTLINIE. Damit stieg die Zahl der beratenen Menschen um 12 im Vergleich zum bisherigen Höchststand von 2019.

Insgesamt beschäftigte sich die Fachstelle 2020 mit 168 Vorfällen, von denen 71 als rechtsmotivierte Gewalttaten eingestuft wurden, weitere 29 als Gewalttaten aus unklaren oder anderen Motiven. In 54 Vorfällen waren die Beratungsanlässe keine Gewalttaten, sondern beispielsweise Bedrohungen, Diskriminierungen oder Beleidigungen. Die restlichen 14 Vorfälle sind im Recherchestadium. Die Fachstelle, die von der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg e.V. (tgbw) getragen wird, betont, dass ihre personellen Kapazitätsgrenzen überschritten seien. „Wir konnten daher 2020 deutlich weniger Vorfall-Monitoring und Fallrecherche durchführen“, so die Leiterin der Fachstelle LEUCHTLINIE, Saime Ekin-Atik. „Dennoch ist, vor allem durch direkte Kontaktaufnahme der Betroffenen, der Beratungsumfang gestiegen. Ein Trend, der für alle Bundesländer gilt“.

Im gesamten Bundesgebiet wuchs 2020, trotz Corona, nach Medienberichten die Gesamtzahl rechter Straftaten auf ein neues Rekordhoch an. Wie etwa der Berliner Tagesspiegel und Zeit-online veröffentlichten, kam es bundesweit im Bereich der politisch motivierten Kriminalität von Rechts insgesamt zu 23.080 Straftaten, darunter 1.054 Gewalttaten. Diese Zahlen ergeben einen Anstieg von über 700 rechten Straftaten im Vergleich zu den bereits sehr hohen Fallzahlen von 2019.

Die Fachstelle LEUCHTLINIE begrüßt daher umso mehr den am 02.12.2020 von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmenkatalog des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. „Wir sind sehr froh über diese politischen Entschlüsse“, so Saime Ekin-Atik. „Jetzt müssen die geplanten Maßnahmen, zu denen laut Katalog ausdrücklich eine Verbesserung der bestehenden Opfer-und Betroffenenberatung in den Ländern gehört, zügig umgesetzt werden, auch in Baden-Württemberg“, so die Expertin in Stuttgart.

2019, im Jahr vier ihres Bestehens, verzeichnete die Beratungsstelle für Betroffenen von rechter Gewalt in Baden-Württemberg,“LEUCHTLINIE“ ein kontinuierliches Ausmaß der Fälle von rechter Gewalt im Bundesland, aber einen deutlichen Anstieg der in Anspruch genommenen Beratungen.

Über das bei LEUCHTLINIE in Stuttgart etablierte Monitoringsystem wurden im gesamten Jahr 2019 insgesamt 431 Vorfälle rechter – oder als solche im Verdacht stehender – Straf- und Gewalttaten in Baden-Württemberg erfasst, im Jahr 2018 lag diese Zahl bei 464. Die erfassten Vorfälle wurden und werden weiterhin als Chronik auf der Homepage von LEUCHTLINIE veröffentlicht.

Insgesamt 191 Vorfällen ging das LEUCHTLINIE-Beratungsteam nach – ein konstanter Wert im Vergleich zum Vorjahr. Auf 123 dieser Vorfälle wurden wir über unser Monitoring aufmerksam und versuchten anschließend Kontakt zu den Betroffenen aufzunehmen. Bei den weiteren 68 Vorfällen wurden wir direkt kontaktiert, entweder über unsere Webseite, per E-Mail oder per Telefon-Hotline.
Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich der Anteil an Personen, die sich direkt an die Beratungsstelle LEUCHTLINIE wendeten, deutlich erhöht. Wir erkennen darin einen Effekt der eingesetzten Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, wie etwa die mehrsprachigen Flyer oder auch die Kino-Spots, die zu einer gesteigerten Sichtbarkeit und Bekanntheit der Beratungseinrichtung geführt haben.

Grundsätzlich richtet sich rechte Gewalt gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, die pauschal abgelehnt werden, was mit dem Begriff „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (GMF) beschrieben wird. Von den 191 Vorfällen, die von LEUCHTLINIE bearbeitet wurden, schätzten wir 162 als GMF motiviert ein, 4 als nicht GMF motiviert und bei 25 blieb dies unklar. Von den 162 GMF motivierten Vorfällen hatten – nach den uns vorliegenden Angaben – 100 einen fremdenfeindlichen, rassistischen oder muslimfeindlichen Hintergrund. 28 der Vorfälle richteten sich gegen politisch Andersdenkende, 11 der Vorfälle richteten sich gegen Personen auf Grund ihrer Rolle oder Funktion (z.B. Zeug_innen) und 10 gegen jüdische Menschen. Andere Tatmotive, mit denen wir vereinzelt konfrontiert waren, waren Ablehnung von LSBTIQ*-Menschen, obdachlosen Menschen, Sexismus, Antiziganismus und Menschen mit Behinderung.

Insgesamt hatten wir bei 172 aus den 191 nachgegangenen Vorfällen Hinweise darauf, dass eine rechte Gewalttat vorlag. Die Gewalttaten, die in diesen Fällen begangen wurden, stuften wir ein als Beleidigungen (in 51 Fällen), Bedrohungen bzw. Nötigungen (in 44 Fällen), Körperverletzungen (in 38 Fällen), Sachbeschädigungen (in 19 Fällen), versuchte Körperverletzung (in 13 Fällen), Brandstiftungen (in 7 Fällen), versuchte Tötung (in zwei Fällen) und Tötung (in einem Fall).

2019 haben wir insgesamt 98 Menschen beraten, die von rechter Gewalt betroffen waren. Damit verzeichnete LEUCHTLINIE einen Anstieg bei den Beratungsprozessen um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr (2018: 74). Vor diesem Hintergrund ist die im Herbst 2019 vollzogene Mitgliedschaft von LEUCHTLINIE im Bundesverband der Beratungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) ein besonders wertvoller Schritt zur Professionalisierung der Beratungsarbeit und zur Qualifizierung der Berater_innen.

Pressemitteilung ReachOut Berlin vom 09.03.2021

Pressemitteilung zu den Angriffen in Berlin 2020

2020 werden in Berlin fast täglich extrem rechte, rassistische und antisemitische Angriffe begangen. Rassismus ist das häufigste Motiv.
Trotz Pandemie und Lockdown dokumentiert ReachOut 357 Taten.

ReachOut, die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, verzeichnet mit 357 Angriffen für das Jahr 2020 leider nur einen leichten Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. 2019 musste ReachOut 390 Angriffe und damit die höchsten Zahlen seit Bestehen des Projektes bekannt geben.

Mindestens 493 Menschen wurden im vergangenen Jahr verletzt und bedroht.

Berlin, 9. März 2021

Insgesamt erfasst ReachOut 357 Angriffe für das Jahr 2020 (2019: 390). Mindestens 493 (2019: 509) Menschen werden verletzt, gejagt und massiv bedroht. Darunter sind 37 Kinder und 28 Jugendliche. Dazu mussten 15 Kinder miterleben, wie ihre Angehörigen oder Freund*innen geschlagen, getreten und gestoßen wurden.

“Wir hatten für das Jahr 2020 damit gerechnet, dass die Angriffe deutlich nachlassen”, so Sabine Seyb, von ReachOut. “Schon aufgrund der Pandemie und der Tatsache, dass sich weniger Menschen im öffentlichen Raum bewegen und aufhalten, sind wir nicht von einer so hohen Zahl von Angriffen ausgegangen”, so Sabine Seyb weiter.

Auch 20 Jahre nach der Gründung von ReachOut zeigt sich leider, dass sowohl die Beratung und Unterstützung der Betroffenen als auch das berlinweite Monitoring notwendig bleiben. Aufgrund der hohen Angriffs- und der steigenden Beratungsanfragen, muss das fachspezifische Angebot von ReachOut ausgebaut werden.

Mit 196 Taten sind fast 55% der Angriffe rassistisch motiviert (2019: 219 von 390).

Von den insgesamt 196 rassistisch motivierten Taten wissen wir, dass mindestens 20 Angriffe antimuslimisch motiviert sind, sich 31 gegen Schwarze Menschen und 5 gegen Sinti und Roma richten.

Ein Beispiel aus unserer Chronik:

Am 13. Juni wird in Kreuzberg ein Mann, der in Begleitung eines anderen Mannes ist, in der U-Bahnli- nie 7 von einem Unbekannten aufgrund antiziganistischer und homophober Motivation bedroht. Der Unbekannte hindert die beiden Männer am Aussteigen und schlägt dem Mann verschiedene Dinge aus der Hand. Auf dem U-Bahnhof Yorckstraße versucht der Angreifer ihn zu schlagen und mit einer Zigarette zu verbrennen. Die beiden Männer werden bis in eine Bar, in die sie sich flüchten, verfolgt. Später erstattet der Mann Anzeige bei der Polizei.

93 Taten wurden aus LGBTIQ*-feindlichen Motiven begangen (2019: 105). Die antisemitischen Gewalttaten sind mit 28 nahezu gleich geblieben (2019: 31). Die Zahl der Attacken und massiven Bedrohungen gegen politische Gegner*innen sind ebenfalls gleich geblieben. Gegen sie richteten sich 18 Angriffe (2019: 17). Zudem erfuhr ReachOut von 13 Bedrohungen und Angriffen gegen Journalist*innen.

Bei den meisten Angriffen handelt es sich um Körperverletzungen (179), gefährliche Körperverletzungen (118) und massive Bedrohungen (53). Zudem mussten wir eine schwere Körperverletzung dokumentieren

Ein Beispiel aus unserer Chronik:

In der Nacht des 7.1.2020 wird einem 45-jährigen wohnungslosen Mann, der im Vorraum einer Bankfiliale in der Otto-Suhr-Allee schläft, das Hosenbein angezündet. Der Mann erleidet schwere Brandverletzungen.

Die meisten Angriffe finden in den innerstädtischen Bezirken statt.

Im Bezirk Mitte (mit den Stadteilen Mitte: 28, Wedding: 20 und Tiergarten: 12) finden insgesamt 60 (2019: 97) und somit stadtweit die meisten Angriffe statt. Hier ist gleichzeitig der stärkste Rückgang der Angriffe zu beobachten. Die häufigsten Tatmotive sind dort: Ras- sismus mit 33 Angriffen und LGBTIQ*-Feindlichkeit mit 19 Taten.

In Neukölln dokumentiert ReachOut 34 (2019: 56) Angriffe. Häufigste Motive: Rassismus und LGBTIQ*-Feindlichkeit (je 15).

Die meisten Gewalttaten in Kreuzberg (17 von 30) und Schöneberg (7 von 13) und richten sich ebenfalls gegen die sexuelle Identität oder Orientierung der Betroffenen.

Weitere Angriffsschwerpunkte dokumentieren wir in den Stadtteilen Charlottenburg (25), Friedrichshain (22), Spandau (21), Prenzlauer Berg und Hohenschönhausen (je 17), Reinickendorf (16) Treptow und Marzahn (je 15).

Wir haben von 17 massiven Bedrohungen im Internet erfahren. Es handelt sich meistens um Todesdrohungen gegen Journalist*innen und Politiker*innen.

155 Angriffe werden auf Straßen und Plätzen verübt (2019: 136). An Haltestellen, Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln geschehen 78 Gewalttaten und Bedrohungen (2019: 111).

Trotz des leichten Rückgangs der Angriffszahlen sind die Taten im direkten Wohnumfeld mit 32 Angriffen gleich hoch geblieben.

Die Angriffe, die Betroffene in ihrem direkten Wohnumfeld erleiden, sind so besorgniserregend, weil es sich für die Betroffenen um einen geschützten Raum handeln sollte. Einem Angriff voraus gehen häufig wiederholte Beleidigungen und andere Einschüchterungs- und Verdrängungsversuche. Es handelt sich bei den Täterinnen meistens um Nachbarinnen. Sie sind einfach zu identifizieren und gehen offenbar davon aus, keine Konsequenzen für ihr Handeln fürchten zu müssen.

So wird am 7. August in Tempelhof ein Mann von einem Nachbarn in der Hilbertstraße im Treppen- haus eines Mietshauses rassistisch motiviert beleidigt und geschlagen.

Sabine Seyb zur Entwicklung der Angriffszahlen: Das Team von ReachOut ist beunruhigt über die Höhe der Angriffszahlen trotz der Pandemie und der beiden Lockdowns. Obwohl im vergangenen Jahr sichtbar weniger Menschen in der Stadt unterwegs waren, ausgehen konnten und die öffentlichen Verkehrsmittel weniger genutzt wurden, geschahen soviele brutale Angriffe. Dies deutet darauf hin, dass die Aggressivität und die Enttabuisierung bezüglich der Gewalt auf ausgegrenzte und diskriminierte Bevölkerungsgruppen weiter zunimmt.

2020 wurde deutlich, wie die Berichterstattung über die Pandemie, die häufig illustriert wurde mit Fotos von asiatisch gelesenen Menschen, die politischen Debatten und die Beleidigungen und Angriffe, die aufgrund von antiasiatischem Rassismus verübt wurden, ineinander greifen. Institutioneller Rassismus und rassistisch geprägte Debatten tragen dazu bei, dass täglich rassistische Gewalt geschieht. Die Täter*innen fühlen sich in ihrem Handeln bestärkt und ermutigt.

Am 29.2. sitzen sieben Personen, unter ihnen befinden sich auch Menschen, die asiatisch gelesen werden, gemeinsam in einem Café in der Kopenhagener Straße (Prenzlauer Berg). Sie werden aus ei- ner anderen Gruppe heraus aus rassistischer Motivation mit einem Corona-Bezug beleidigt und bedroht. Die Angreifer*innen versuchen, eine der Personen zu schlagen. Sie kann kann dem Angriff aus- weichen.

Die antimuslimisch motivierten Morde in Hanau hatten keinen ausschlaggebenden Wendepunkt in der Politik zur Folge. Die Mechanismen sind immer wieder gleich. Auf erste Betroffenheitsbekundungen und Versprechungen der politisch Verantwortlichen, folgt ein Zurück zur Routine.

ReachOut fordert einen Stopp von öffentlichkeitswirksamen Razzien gegen Shisha-Bars. Diese werden von den Täter*innen als Hinweisreize verstanden. Auch das hat Hanau gelehrt.

Es muss endlich eine langfristige Beschäftigung mit möglichen Handlungsstrategien im Berliner Abgeordnetenhaus geben, die jede Form von Rassismus auf allen Ebenen berücksichtigt. Insbesondere sollte der institutionelle Rassismus dabei in den Blick genommen werden, so die Forderung von ReachOut. Bei der Entwicklung solcher Handlungsstrategien und deren Umsetzung ist die Einbeziehung von Initiativen und Vereinen aus den Communities die wichtigste Voraussetzung.

Schließlich: Es gab auch 2020 keine Fortschritte bei der Aufklärung der Straftaten im Zusammenhang mit dem Neuköllnkomplex.

ReachOut zitiert an dieser Stelle aus dem offenen Brief der Initiative BASTA. Sie kritisieren die Ergebnisse des Zwischenberichtes der Kommission zur Überprüfung der bisherigen Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung der rechtsmotivierten Straftatenserie in Neukölln vom 21.02.2021:

„Der Zwischenbericht vom 21.02.2021 ist ein Schlag ins Gesicht für Engagierte, Geschädigte, Initiativen und die Presse. Er sagt uns, NAZIS haben nichts zu befürchten; Engagement gegen rechten Terror lohnt sich nicht. Unser Anliegen wird nicht ernst genommen – oder anders gesagt, es gibt dieses Anliegen gar nicht. (…)“

Der Kritik von BASTA schließt sich ReachOut an.

Weitere Einzelheiten zu den Angriffszahlen entnehmen Sie bitte der Pressemappe, den darin enthaltenen Grafiken und der Tabelle “Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe in Berlin“. In der Tabelle geben wir einen Rückblick auf die Entwicklungen der letzten 10 Jahre. Zudem finden Sie in der Pressemappe das Handout von Toan Nguyen zu antiasiatischem Rassismus und den offenen Brief der Initiative „BASTA“.

Pressemitteilung Opferperspektive e.V. vom 09.03.2021

2020: Wahrgenommene Bedrohung bleibt hoch

Rechte und rassistische Angriffe in Brandenburg – 2020 in Zahlen

Leicht sinkende Tendenz bei rechten Gewalttaten im Land Brandenburg

Pressemitteilung zur Jahresstatistik 2020

Nach dem drastischen Anstieg in den Jahren 2015 und 2016 verzeichnet die Opferperspektive für 2020 einen leichten Rückgang bei rechten Angriffen in Brandenburg: 130 Gewaltdelikte, das sind 12 weniger als im Vorjahr. Damit bewegen sich die Angriffszahlen auf dem – dennoch hohen – Niveau der Jahre 2002 bis 2006.

Klient:innen berichteten der Beratungsstelle auch im Jahr 2020 wiederholt von einer erhöhten wahrgenommenen Bedrohung, die sich auch auf die Alltagsgestaltung auswirkt. Entscheidende Faktoren dafür sind u.a. der rassistische Terroranschlag von Hanau im Februar 2020, die Aufdeckung fortgeschrittener, rechtsterroristischer Anschlagspläne und weitere Waffenfunde Anfang Juli in der Prignitz sowie die bekannt gewordenen rechten Feindeslisten.

Dazu erklärt Judith Porath, Geschäftsführerin der Opferperspektive: „So erfreulich der anhaltende Rückgang rechter Gewalttaten in Brandenburg ist, so besorgniserregend ist die zunehmende Gefahr rechtsterroristischer Gewalttaten. Die Angst davor und der weiterhin weit verbreitete Alltagsrassismus gefährden nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Gesundheit vieler Menschen in Brandenburg. Insbesondere in den Angriffen auf Kinder und Frauen wird die brutalisierende Wirkung des Rassismus deutlich.“

Auch 2020 war der Großteil der Angriffe rassistisch motiviert (101; 2019: 106). Dies ist ein Anteil von 78 Prozent aller 2020 erfassten Taten (2019: 75%) . Dass wiederholt mehr als dreiviertel aller rechten Gewalttaten eine rassistische Motivation zu Grunde lag, zeugt nach wie vor von einer erschreckend großen Gewaltbereitschaft gegenüber Menschen, denen eine nicht-deutsche Herkunft zugeschrieben wird, die eine nicht-weiße Hautfarbe haben, oder die nach Brandenburg flüchten mussten. Die häufigsten Delikte waren wie in den Vorjahren Körperverletzungen (52) und gefährliche Körperverletzungen (48). Bei letzteren stieg die Anzahl gegenüber 2019 sogar leicht an. Die Opferperspektive erlangte Kenntnis von zwei versuchten Tötungsdelikten, die sich beide im Mai 2020 in Guben ereigneten.

Der leichte Rückgang registrierter Fälle fällt hinsichtlich der Betroffenen unterschiedlich aus. So ist der Anteil der der direkt von rechter Gewalt betroffenen Frauen auf 26 Prozent (49 Personen) gestiegen. Dies ist der höchste Wert der vergangenen 5 Jahre. Weiterhin hoch ist der Anteil der von rechter Gewalt direkt betroffenen Kinder und Jugendlichen: 32 Prozent (61 Personen). Das ergibt, dass fast jede dritte Person, die in Brandenburg durch Rechte angegriffen wurde, minderjährig war.

Die Mehrzahl der Angriffe zählte die Opferperspektive im nördlichen Brandenburg. Im Norden steht die Uckermark an der Spitze der Statistik mit 18 Angriffen. Darauf folgen die kreisfreien Städte Potsdam mit 15 und Cottbus mit 12 Delikten. Gegen den Trend nahm die Zahl registrierter Fälle in den südlichen Landkreisen Elbe-Elster und Spree-Neiße zu. Auch in Potsdam-Mittelmark und Ostprignitz-Ruppin stieg die Zahl der Angriffe.

Im Hintergrundpapier zur Jahresstatistik 2019 finden sich ausführlichen Analysen sowie die grafische Aufbereitung der Statistik. Die Grafiken sind unter Nennung der Quelle (Peer Neumann/ Opferperspektive) frei verwendbar.

Zum Anschauen oder Herunterladen hier klicken:

Situationsbeschreibung der Beratungsstelle Soliport für Bremen 2020

folgt

Situationsbeschreibung der Beratungsstelle Response und der Initiative „Hessen schaut hin“ für Hessen 2020

Jeden Tag erleben Menschen rechte oder rassistische Gewalt – auch in Hessen.

Im Jahr 2020 hat die Beratungsstelle response 184 rechte und rassistische Vorfälle (Meldende wurden kontaktiert) und weitere 118 anonym gemeldete Vorfälle, d.h. Fälle, in denen kein Kontakt zu den Meldenden bestand, dokumentiert. Hinzu kommt der rechtsterroristische Anschlag in Hanau vom 19. Februar 2020, bei dem neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet wurden. Der Täter tötete darüber hinaus seine Mutter und sich selbst.

In 52 Fällen kam es zu Vorfällen im öffentlichen Raum, z.B. auf offener Straße, in Parks oder in Restaurants. Be-troffene aus dieser Fallgruppe äußern besonders häufig Angst davor, dass sich ihre Erfahrung wiederholen könnte. Sie erleben nach Vorfällen rechter und rassistischer Gewalt eine Verunsiche-rung im öffentlichen Raum.Heraus sticht zudem mit 35 Fällen eine hohe Zahl von Übergriffen im Straßen-, Nah- und Fernverkehr. Viele sind für ihren Arbeitsweg auf die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs ange-wiesen und können sich diesen Orten somit nicht entziehen. Darüber hinaus wird durch die dokumentierten Fälle sichtbar: Rechte und rassistische Vorfälle können überall passieren. Zum Beispiel an einem Kiosk, bei der Autovermietung, im Wald, am Arbeitsplatz, auf dem Fahrrad und auch im Internet. Der alltägliche Rassismus ist auch präsent im Gesundheitswesen, in Behörden, auf dem Wohnungsmarkt und am Arbeitsplatz.

Weiterlesen im „Jahresbericht 2020“ der Initiative „Hessen schaut hin“

„Hessen schaut hin“ ist eine Initiative der Beratungsstelle response. Gemeinsam mit vielen Partner*innen arbeitet response daran, das Ausmaß rechter Gewalt realistischer abzubilden.

Zur Dokumentation rechter und rassistischer Vorfälle wurde die Online-Meldestelle www.hessenschauthin.de gestartet. Das Meldeformular wurde in engem Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren aus Frankfurt und Kassel entwickelt, um Bedarfe sichten und berücksichtigen zu können. Mit dem fortlaufenden Monitoring und der Auswertung der gemeldeten Fälle möchten wir zur Sichtbarmachung des Ausmaßes rechter Gewalt in Hessen beitragen.

Inhalt folgt

Pressemitteilung Lobbi vom 29.03.2021

Rechte Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern 2020

Der Beratungsverein für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern, LOBBI, registrierte im vergangenen Jahr 93 Angriffe, von denen mindestens 152 Menschen unmittelbar sowie 35 indirekt betroffen waren. Damit bewegen sich die Zahlen wieder leicht über dem Niveau des Vorjahres. Dies ist überraschend, da anzunehmen war, dass es durch die Einschränkungen im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu weniger Zusammenkünften und somit auch weniger „Gelegenheiten“ für rechte Attacken kommt.
Im vergangenen Jahr kam es damit statistisch betrachtet an jedem vierten Tag zu einem rechten Angriff. In 59 Fällen handelte es sich um Körperverletzungen, darunter 31 gefährliche. Auffällig ist eine Zunahme gemeldeter rechter Bedrohungen (25 gegenüber 14 im Vorjahr).

In über der Hälfte der Fälle handelten die Angreifer:innen wie auch in den vergangenen Jahren aus rassistischen Motiven. In 2020 nahm jedoch der Anteil an Angriffen auf politische Verantwortungsträger:innen oder vermeintliche politische Gegner:innen deutlich zu (27 Angriffe). Einige dieser Attacken stehen in unmittelbarem Zusammenhang der Aufmärsche sogenannter Corona-Kritiker:innen. So wurde im Mai eine Stadtvertreterin in Neubrandenburg bei ihrem Protest gegen einen solchen Aufzug, von Demo-Teilnehmern attackiert und dabei an der Hand verletzt. An dem Aufzug nahm auch eine Gruppe organisierter Neonazis teil. In Demmin kam es im Juni innerhalb einer Woche zu zwei Attacken von Demonstrierenden auf einen Passanten und eine Journalistin, die beide jeweils das Geschehen dokumentieren wollten.

In Bezug auf die regionale Verteilung fanden die meisten Angriffe 2020 erneut in der Hansestadt Rostock statt (27). Eine Zunahme ist im Landkreis Vorpommern-Rügen zu verzeichnen, wo noch immer die Hansestadt Stralsund ein Schwerpunkt rechter Gewalt bleibt. In Nordwestmecklenburg hingegen ist ein leichter Rückgang erkennbar, was allerdings auch an fehlenden Zugängen zu (potenziell) Betroffenen in Zeiten der Pandemie liegen kann und somit eher auf ein verändertes Meldeverhalten zurückzuführen wäre.

»Die hier dargestellten Angriffe sind immer nur ein Ausschnitt, nur das was an die Oberfläche tritt. Wir gehen davon aus, dass auch wir von vielen Angriffen nicht erfahren, andere werden uns deutlich später bekannt. Auch der Schritt, solche Angriffe zur Anzeige zu bringen, ist vielen Betroffenen nicht möglich oder von ihnen nicht gewollt. Zusätzlich zu den körperlichen Angriffen, sehen sich viele Betroffene alltäglichen Feindseligkeiten und Erniedrigungen ausgesetzt“, sagt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter der LOBBI. „Besonders spürbar war vergangenen Jahr erneut das zunehmende Misstrauen in Polizei und Justiz, das durch anhaltende Enthüllungen von Fehlverhalten und Vergehen durch Angehörige der Sicherheitsbehörden weiter gefüttert und von den Betroffenen immer wieder thematisiert wurde“, so Schiedewitz weiter.

Die LOBBI konnte dennoch im vergangenen Jahr in 166 Fällen beraten und damit 222 Menschen unmittelbar unterstützen. Davon fanden 52 Beratungen nach Angriffen im laufenden Jahr statt, 39 Beratungen zu Angriffen aus Vorjahren und 75 Beratungen zu rechten Vorfällen, die nicht als Gewalttaten einzuordnen sind. Dazu zählen etwa Beleidigungen und Einschüchterungen, aber auch rassistische Diskriminierungen.

Durch die Pandemie hat sich die Beratungssituation seit dem Frühjahr deutlich verändert. Dennoch konnten Settings geschaffen werden, in denen Betroffene nach rechten Angriffen angemessen beraten und begleitet werden konnten. Größere Auswirkungen hatte die Situation auf Netzwerk- und Bündnisarbeit die Zugänge in manche Regionen oder zu bestimmten Betroffenengruppen wurden massiv erschwert. Das Ausmaß des Dunkelfeldes ist schwer abzuschätzen.“

Die LOBBI unterstützt in Mecklenburg-Vorpommern seit 2001 Betroffene rechter und rassistischer Gewalt bei der Bewältigung der Tatfolgen und dokumentiert darüber hinaus diese Angriffe.

Pressemitteilung der Beratungsstellen OBR und BackUp vom 13.04.2021

Pressemitteilung von OBR und BackUp: Rechte Gewalt in NRW bleibt trotz Pandemie auf hohem Niveau

Im vergangenen Jahr wurden in Nordrhein-Westfalen (NRW) 198 rechte Gewalttaten gegen mindestens 267 direkt betroffene Menschen verübt, darunter auch Kinder und Jugendliche. Dies ist das Ergebnis der Jahresstatistik 2020 von Opferberatung Rheinland (OBR) und BackUp, den beiden Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer menschenfeindlich motivierter (kurz: rechter) Gewalt in NRW.

Trotz Shutdown und Social Distancing verzeichnen die Beratungsstellen in ihrem Monitoring für das Jahr 2020 ein nahezu unverändert hohes Niveau rechter Gewalttaten (Rückgang um nur 2 Prozent). Rassistisch motivierte Gewalt nimmt weiter zu, die Anzahl rechter Angriffe gegen politische Gegner*innen bleibt hoch. Doppelt so viele Angriffe gab es jeweils im Umfeld von Demonstrationen und auf Journalist*innen. Eine versuchte Tötung, 166 Körperverletzungsdelikte (davon mindestens 47 gefährliche) und 22 massive Bedrohungen wurden registriert.

Unverkennbar sind Kontinuitäten trotz der Ausnahmesituation: Rassistische Gewalt bleibt ein schwerwiegendes Problem in NRW. 2020 war Rassismus weiterhin das mit großem Abstand häufigste Tatmotiv – bei steigender Tendenz. 138 der insgesamt 198 Taten (69 Prozent) wurden aus rassistischen Motiven heraus begangen. Die verschiedenen Formen rassistischer Gewalt zeigen sich in Angriffen gegen geflüchtete Personen (23), Sinti*zze und Rom*nja (8), in Form von anti-Schwarzem Rassismus (27) sowie antimuslimischem Rassismus (18). Weiterhin gilt: Die überwiegende Mehrheit der dokumentierten Angriffe auf Kinder (86 Prozent) und Jugendliche (80 Prozent) war rassistisch motiviert.

Den Beratungsstellen werden immer mehr Angriffe im direkten Wohnumfeld bekannt. Dieser Trend zeigte sich schon in den Vorjahren. Seit 2017 hat hier nahezu eine Verzehnfachung stattgefunden – mit 19 Angriffen im Jahr 2020. Pandemie-Bedingungen und die Verlagerung des Alltags vieler Menschen in den privaten Nahbereich haben die Folgen für Betroffene noch einmal verstärkt. „Nicht nur während einer Pandemie erfüllt der persönliche Wohnraum häufig eine besondere Schutz- und Rückzugsfunktion“, so Birgit Rheims (OBR). „Wenn dieser sensible Ort aber Ziel von Angriffen wird, kann das Sicherheitsgefühl im eigenen Zuhause massiv erschüttert werden und bei den Betroffenen zu einem chronisch hohen Stresslevel mit gravierenden gesundheitlichen Folgen führen.“

2020 wurden 13 Angriffe im Umfeld von Demonstrationen verübt, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Die meisten dieser Angriffe fanden im Zusammenhang mit Protesten gegen staatliche Corona-Schutzmaßnahmen statt, viele der Betroffenen waren Medienvertreter*innen. „Es ist besorgniserregend, wie viele Journalist*innen 2020 angegriffen wurden. Wir brauchen kritische Berichterstattung, auch auf Demonstrationen, um beispielsweise antisemitische Einstellungen sichtbarer zu machen“, sagt Sabrina Carrasco Heiermann (BackUp).

Bisher überhörte Forderungen werden weiter aufrechterhalten: „Für die Bekämpfung rechter Gewalt ist es aus Sicht der Beratungsstellen unumgänglich, die Forderungen und Perspektiven von Betroffenen aus der Peripherie ins Zentrum der Debatte zu rücken“, so Birgit Rheims und Sabrina Carrasco Heiermann. „Nach Black Lives Matter und Hanau bleibt auch 2021 der Ruf nach Sicherheitsbehörden, die über Wissen und Sensibilität im Kontext verschiedener Ungleichwertigkeitsvorstellungen in unserer Gesellschaft verfügen und denen Betroffene rechter Gewalt vertrauen können.“

Pressemitteilung der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt vom 15.04.2021

Mobile Opferberatung registriert Anstieg rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt
Zentrale Motive bei 155 rechten Gewalttaten bis hin zu versuchtem Mord: Rassismus und Hass auf politische Gegner*innen
„Coronaleugner*innenbewegung wirkt als Katalysator für antisemitische Verschwörungsideologien, Shoa-Relativierung und rechte Gewalt

155 politisch rechts motivierte Gewalttaten mit mindestens 219 direkt Betroffenen hat die Mobile Opferberatung in Kooperation mit der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalttaten Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg für das Jahr 2020 in Sachsen-Anhalt registriert. Darunter fällt auch ein versuchter rassistischer Mord an einem 21-jährigen Geflüchteten in Halle (Saale), bei dem die Strafverfolgung von Verharmlosung und Untätigkeit geprägt war. Insgesamt hat sich die Anzahl der bekannt gewordenen rechts, rassistisch und antisemitisch motivierten Angriffe im Vergleich zum Vorjahr – trotz Social Distancing während der Corona-Pandemie – sogar erhöht (2019: 153). [1]

106 Angriffe, also mehr als zwei Drittel waren – wie bereits in den Vorjahren – rassistisch motiviert. Davon waren 155 Menschen direkt betroffen, darunter auch 16 Kinder (0–13 Jahre) und 19 Jugendliche (14–17 Jahre). Zudem war mit 30 Angriffen und 48 direkt Betroffenen ein leichter Anstieg rechter Gewalt gegen politische Gegner*innen zu verzeichnen (2020: 19 Prozent; 2019: 16 Prozent). Jede vierte dieser Taten wurde im Zusammenhang mit politischen Aktionen von Coronaleugner*innen dokumentiert, nämlich 8 Angriffe mit 15 direkt Betroffenen. Daneben war ein deutlicher Anstieg bei antisemitisch motivierten Angriffen zu verzeichnen. So stand Antisemitismus mit 9 Angriffen und 10 direkt Betroffenen bei den Tatmotiven in 2020 an dritter Stelle (2019: 2 mit 52 Betroffenen, davon 51 bei dem rechtsterroristischen Anschlag von Halle).


Für 2020 wurden ein versuchter Mord, 124 Körperverletzungen, fünf Brandstiftungen und eine Freiheitsberaubung als politisch rechts motivierte Gewalt dokumentiert. Darüber hinaus wurden aufgrund der massiven psychischen und/oder sozialen Folgen für die Betroffenen 22 Nötigungen bzw. Bedrohungen sowie zwei Sachbeschädigungen in die unabhängige Statistik politisch rechts motivierter Gewalt 2020 in Sachsen-Anhalt aufgenommen. Obwohl 121 von den insgesamt von der Mobilen Opferberatung dokumentierten 155 Angriffen sowohl polizeibekannt sind als auch nach den Kriterien der Sicherheitsbehörden als Gewalttaten zählen, gab das Innenministerium Sachsen-Anhalts Ende März 2021 lediglich 85 politisch rechts motivierte Gewalttaten bekannt. [2]

Strafverfolgungsbehörden ignorieren rassistisches Motiv bei versuchter Tötung

Dass es manchmal nur glücklichen Umständen geschuldet ist, dass Betroffene entgrenzter rechter Gewalt die Angriffe überleben, und warum das anhaltende Wahrnehmungsdefizit der Behörden Teil des Problems ist, wird an einem gravierenden Fall aus 2020 besonders deutlich: Am 1. Mai wurde in Halle (Saale) ein damals 21-jähriger, palästinensisch-syrischer Geflüchteter bei einem nächtlichen Angriff dreier Jugendlicher bzw. junger Erwachsener an einer Haltestelle durch Tritte gegen den Kopf so schwer verletzt, dass er mit lebensgefährlichen Verletzungen mehrfach im Krankenhaus operiert werden musste.

Obwohl der gleichaltrige syrischer Freund des Hauptbetroffenen, der bei dem Angriff auch verletzt wurde, die Beamten über rassistische und schwulenfeindliche Beleidigungen informierte, stellte die Polizei die Tat öffentlich lediglich als „tätliche Auseinandersetzung“ zwischen Jugendgruppen dar. Auch in allen Antworten des Innenministeriums auf parlamentarische Anfragen zu politisch rechts motivierter Gewalt in Sachsen-Anhalt 2020 sucht man das versuchte Tötungsdelikt bislang vergebens. [3]

Der Betroffene leidet bis heute unter den körperlichen und psychischen Folgen der Tat. Erheblich dazu beigetragen haben aber auch Enttäuschung und Wut über schleppende und unzureichende Ermittlungen bis hin zum ungeklärten Verschwinden der Akte [4] und die anhaltende Ausblendung des rassistischen Tatmotivs. So will auch die Staatsanwaltschaft Halle in ihrer im November 2020 u.a. wegen versuchten Totschlags erhobenen Anklage keinen sogenannten niederen Beweggrund als Mordmerkmal erkennen. „Die Ermittlungen waren von Anfang an von Vorurteilen, Missachtung der Betroffenenperspektive und immer wieder auch von Desinteresse und Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden geprägt“, kritisiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Der Gerichtsprozess gegen die drei Tatverdächtigen soll erst Anfang November 2021 beginnen.

Folgen der Corona-Pandemie

Die teilweise gravierenden sozialen, gesundheitlichen und ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie seit Mitte März 2020 trafen auch in Sachsen-Anhalt oft diejenigen am härtesten, die ohnehin im Alltag diskriminiert und ausgegrenzt werden: So waren marginalisierte Gruppen wie Geflüchtete in Sammelunterkünften oder migrantische Saison- und Sexarbeiter*innen aufgrund nochmals dramatisch verschlechterter Lebens- und Arbeitsbedingungen besonders betroffen. Gleichzeitig wurden Debatten rassistisch aufgeladen. Anfeindungen gegen asiatisch gelesene Menschen oder gegen Rom*nja wie z.B. in Magdeburg nahmen zu. Hier muss – auch angesichts sehr eingeschränkter Recherchemöglichkeiten der Mobilen Opferberatung durch die Pandemie – von einer hohen Dunkelziffer bei den Gewalttaten ausgegangen werden.

Sehr besorgniserregend in 2020 waren zudem die massive Verbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen und Verharmlosungen der Shoa durch eine zunehmend erstarkende Coronaleugner*innenbewegung, verbunden mit immer aggressiverem Auftreten gegen Kritiker*innen und Journalist*innen. Diese Szene war laut der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt von Anfang an von extrem Rechten jeglicher Couleur dominiert und u.a. mit knapp 600 Versammlungen von Ende März bis Ende Dezember 2020 insbesondere in Halle und Magdeburg, aber auch in anderen Städten, omnipräsent.

Dabei trat sowohl bei Aktionen vor Ort als auch online eine erhebliche Gewaltbereitschaft zu Tage: Neben ungezählten Beleidigungen, Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen zeigte sich dies auch in körperlicher Gewalt. So registrierte die Mobile Opferberatung für das Jahr 2020 sechs versuchte bzw. vollendete Körperverletzungen sowie zwei massive Bedrohungen mit insgesamt 15 direkt Betroffenen im Zusammenhang mit Protesten gegen Aktionen der Corona-Leugner*innen. Dabei richteten sich alle Angriffe gegen tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner*innen, weil die Betroffenen entweder gegen die verschwörungsideologischen und antidemokratischen Inhalte protestierten oder als Journalist*innen und Beobachter*innen vor Ort waren. Auch hier ist die Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft Halle von Desinteresse und Verfahrenseinstellungen gegen bekannte Tatverdächtige geprägt.

„Die Coronaleugner*innenbewegung in Sachsen-Anhalt wirkt als Katalysator für antisemitische Verschwörungsideologien, Shoa-Relativierung, antidemokratische Bestrebungen und rechte Gewalt“, fasst eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung zusammen. „Deshalb ist es umso wichtiger, dass solche Aktivitäten weder unwidersprochen bleiben noch verharmlost werden; dass Protestierende, kritische Beobachter*innen und Journalist*innen von der Polizei effektiv geschützt und polizeiliche, versammlungsrechtliche sowie strafrechtliche Möglichkeiten ausgeschöpft und durchgesetzt werden“, fordert die Sprecherin auch angesichts der u.a. vom Bündnis „Halle gegen Rechts“ und weiteren Aktiven kontinuierlich geäußerten Kritik am behördlichen Umgang im Zusammenhang mit Versammlungen von Coronaleugner*innen. [5]

Regionale Verteilung

Mit 44 politisch rechts motivierten Gewalttaten in 2020 stand die Stadt Halle (Saale) sowohl in den absoluten Zahlen als auch gemessen an der Einwohner*innenzahl weiterhin an oberster Stelle (2019: 46), allerdings dicht gefolgt von Magdeburg. Hier war mit 40 Angriffen in 2020 ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen (2019: 28). Zudem wurden 11 Angriffe für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld registriert. Weitere Schwerpunktregionen waren der Landkreis Börde und der Saalekreis mit 9 politisch rechts motivierten Angriffen und der Landkreis Harz mit 8. Gefolgt vom Altmarkkreis Salzwedel und Dessau-Roßlau mit jeweils 6, Stendal mit 5, dem Burgenlandkreis, Jerichower Land, Mansfeld-Südharz und Wittenberg mit jeweils 4 und dem Salzlandkreis mit einer rassistisch motivierten Gewalttat.

Fazit

„Das Ausmaß rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Sachsen-Anhalt ist – im Jahr nach dem rechtsterroristischen Anschlag vom 9. Oktober 2019 in Halle (Saale) – nach wie vor dramatisch“, resümiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Auch in 2020 wurden mindestens aller zwei bis drei Tage Menschen angegriffen und zum Teil erheblich verletzt, weil sie von den Täter*innen als nicht zugehörig, minderwertig oder als politische Gegner*innen angesehen wurden.

Damit einher geht die Angst potenziell Betroffener, jederzeit selbst zum Ziel rassistischer, antisemitischer, LSBTIQ-feindlicher und rechter Gewalt zu werden. Ohnmacht, Trauer und Wut nach den Mordanschlägen von Halle 2019 und Hanau 2020 – auch angesichts nicht eingelöster Versprechungen aus Politik, Verharmlosung und Untätigkeit von Strafverfolgungsbehörden oder der zunehmenden Gefahren durch die Coronaleugner*innenbewegung sitzen tief. „Die Perspektiven und Forderungen von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ernst zu nehmen und umzusetzen bleibt eine zentrale Aufgabe auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen“, konstatiert die Sprecherin.

In unserem Hintergrundpapier zur Jahresstatistik 2020 finden sich weitere Details, Analysen, Beispielfälle und Grafiken.

Über uns:
Die Mobile Opferberatung als spezialisierte Fachberatungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Trägerschaft von Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. blickt im August 2021 auf ihr 20-jähriges Bestehen zurück. Ihre Arbeit wird aktuell über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ sowie das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Einordnung von Angriffen in unsere jährlichen Statistiken als politisch rechts motiviert erfolgt anhand gemeinsamer Qualitätskriterien des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG), die sich für eine Vergleichbarkeit auch an der Definition des Bundeskriminalamts zu „Politisch motivierter Kriminalität – rechts“ orientieren.

Fußnoten:

1 Zur Veröffentlichung der Jahresstatistik für 2019 Anfang April 2020 hatte die Mobile Opferberatung 133 rechte Gewalttaten dokumentiert.
2 und damit ebenfalls einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (2019: 74), vgl. Ministerium für Inneres und Sport, 22.03.21, PM Nr. 012/2021)
3 vgl. Antworten der Landesregierung zu den von der Polizei registrierten Gewaltstraftaten im Themenfeld „Hasskriminalität“ und PMK rechts monatlich und quartalsweise. Die endgültigen Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor.
4 siehe dazu auch Drucksache 7/6763, 27.10.2020
5 siehe dazu u.a. Presseerklärung vom 06.07.20

Pressemitteilung der Beratungsstelle Support des RAA Sachsen e.V. vom 15.03.2021

Angriffsstatistik Opferberatung Support 2020

208 rechtsmotivierte und rassistische Angriffe in Sachsen mit mindestens 304 Betroffenen – anhaltend hohes Niveau rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt – vier besonders schwere Gewalttaten – ein Mensch wurde aufgrund seiner sexuellen Orientierung getötet.

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208 rechtsmotivierte und rassistische Angriffe in Sachsen mit mindestens 304 Betroffenen – anhaltend hohes Niveau rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt in Sachsen – vier besonders schwere Gewalttaten – ein Mensch wurde aufgrund seiner sexuellen Orientierung getötet.

2020 war geprägt durch die Corona-Pandemie, die sich in vielerlei Hinsicht auf rechte, rassistische und antisemitische Gewalt auswirkte: Antiasiatischer Rassismus, die „Querdenker-Bewegung“ mit Demonstrationen, bei denen politische Gegner*innen, darunter Journalist*innen, angegriffen wurden und gewachsener Antisemitismus.

„Mit den von den sogenannten Querdenkern verbreiteten Verschwörungserzählungen gehen antisemitische Einstellungen und Feindbilder einher. Sie sehen sich im Widerstand gegen „dunkle Mächte“, was der Rechtfertigung von Gewalt dient und ein hohes Radikalisierungspotential mit sich bringt,“ warnt Andrea Hübler, Fachreferentin im Projekt Support für Betroffene rechter Gewalt des RAA Sachsen e.V. „Eine solche Widerstands-Rhetorik ist auch in der Ideologie des „Großen Austauschs“ zentral, die im rechten Milieu, von der Neuen Rechten bis zu Neonazis propagiert wird. Hier verbindet sich Rassismus mit Antisemitismus und Antifeminismus. Auch hier gibt es ein besonders hohes Radikalisierungspotenzial und eine hohe Gewaltgefahr. Das haben die Anschläge in Halle am 9. Oktober 2019 und in Hanau am 19. Februar 2020 auf drastische Weise gezeigt.“

Ein Tötungsdelikt sowie zwei versuchte Tötungen wurden 2020 in Dresden verübt. So verlor ein Mensch aufgrund seiner sexuellen Orientierung sein Leben, als am 4. Oktober ein 20-Jähriger mit islamistischem Bezug in der Dresdner Altstadt ein schwules Paar mit zwei Küchenmessern angriff. Einer der beiden Männer (55 und 53) starb im Krankenhaus, sein Partner überlebte schwerverletzt. Am 9. März wurde in Dresden ein junger Mann mit einem Messer schwer verletzt. Der Täter fügte ihm eine Schnittwunde am Hals zu, wobei die Halsschlagader nur knapp verfehlt wurde. Am 30. August verletzte ein 16-jähriger Jugendlicher, der der Neonaziszene zugeordnet werden kann, bei einer alternativen Techno-Party in der Dresdner Heide zwei junge Menschen schwer mit einem Messer.

Überwiegend handelte es sich bei den Angriffen um Körperverletzungsdelikte (139), in 47 Fällen um Nötigung oder Bedrohung. Fünf Brandstiftungen wurden verübt, darunter ein Brandanschlag auf eine Shisha-Bar und ein Dönerlokal – nur zwei Tage nach dem rassistischen Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020.

Der Großteil der Angriffe war rassistisch motiviert (107), 39 Angriffe richteten sich gegen politische Gegner*innen. In 35 Fällen richtete sich die Gewalt gegen Nichtrechte und Alternative, in acht Fällen gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität.

Regionale Schwerpunkte sind die Städte Dresden (52), Leipzig (66) und Chemnitz (16). Der Landkreis Leipzig (18) stellt seit Jahren kontinuierlich eine Schwerpunktregion rechter Gewalt in Sachsen dar. Der Landkreis Zwickau (13) weist ebenfalls besonders viele Angriffe auf, gefolgt von den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (8) und Görlitz (7), wo die Angriffszahlen im Vergleich zum Vorjahr gleichblieben, ebenso wie im Vogtland (5). Einen leichten Anstieg verzeichnet Mittelsachsen (5). Zurück gegangen sind die Zahlen in Bautzen (7), Nordsachsen (6), im Erzgebirge (3) und in Meißen (2).

Die Fachberatungsstelle Support für Betroffene rechter Gewalt des RAA Sachsen e.V. unterstützt in Sachsen seit 2005 Opfer rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bei der Bewältigung der Tatfolgen und dokumentiert darüber hinaus diese Angriffe. Im Jahr 2020 haben wir sachsenweit in 263 Beratungsfällen beratend und unterstützend zur Seite stehen.

„Die rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Hanau haben zu Wut, Angst sowie Verunsicherung geführt, das war auch 2020 spürbar. Schwere Gewalttaten im letzten Jahr und die sichtbare Radikalisierung im Zuge der sogenannten Querdenker-Bewegung zeigen wie brisant die gesellschaftliche Situation ist. Eine Kultur der Solidarität und eine klare Agenda gegen Rechtsextremismus, rechten Terror sowie Rassismus und Antisemitismus in Sachsen bleibt absolut notwendig,“ sagt Robert Kusche, Geschäftsführer des RAA Sachsen e.V.

Die Zusammenfassung der Statistik ist unter Nennung des Urhebers frei verwendbar und abrufbar unter: www.raa-sachsen.de/statistik

Auf unserer Webseite finden Sie zusätzlich ein Tool, mit dem sie die Angriffszahlen der letzten Jahre einsehen können.

Pressemitteilung der Beratungsstelle zebra e.V. vom  März 2021

Leichter Anstieg der rechten Gewalt in Schleswig-Holstein

zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe präsentiert die Ergebnisse des landesweiten Monitorings für 2020

Seit Beginn des Jahres 2017 wird von zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe ein systematisches und unabhängiges Monitoring durchgeführt. Die daraus resultierende Statistik beinhaltet Körperverletzungen, massive Sachbeschädigungen sowie andere Gewalttaten mit erheblichen Folgen, denen eine politisch rechte, rassistische oder antisemitische Motivation zugrunde liegt.

Im Jahr 2020 wurden von zebra 79 rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten registriert, von denen 153 Menschen betroffen waren. Im Vergleich dazu wurden 2019 von unserer Beratungsstelle 57 Vorfälle (mit Nachmeldungen 64) registriert. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sowie politische Gegnerinnen und Gegner stellen weiterhin die beiden zentralen Betroffenengruppen dar. Auch 28 Kinder und Jugendliche waren von solchen Vorfällen betroffen.

Die aktuellen Zahlen bestätigen, dass es sich bei rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt um ein Phänomen handelt, das in der ganzen Breite des Landes vorkommt. Kai Stoltmann, Berater bei zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe, sagt dazu: „Die Zahl rechter Angriffe befindet sich in SchleswigHolstein trotz Corona auf einem anhaltend hohen Niveau. Von einer Entspannung kann während der Pandemie keine Rede sein.“

Zur den erfassten Taten ergänzt er: „Am Rande einer Parteiveranstaltung der AfD ist am 17. Oktober 2020 in Henstedt-Ulzburg ein Auto gezielt in die Gegenkundgebung gelenkt worden. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage zu ‚Politisch Motivierte Kriminalität – Rechts‘ im Jahr 2020 wird diese Tat von der Polizei jedoch nicht genannt. Daran wird erneut deutlich, wie wichtig ein zivilgesellschaftliches Monitoring ist, bei dem auch Nachmeldungen berücksichtigt werden.“

Das Monitoring für SchleswigHolstein basiert auf den Kriterien des VBRG – Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Demnach liegen den Zahlen direkte Kontakte mit den Betroffenen oder aber externe vertrauenswürdige Quellen zugrunde. Trotz dieser Vorgehensweise ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen, die genannten Zahlen stellen somit nur die Spitze des Eisbergs dar.

Die Statistik von zebra wird mit den Daten des Landeskriminalamtes abgeglichen. Der Anstieg unserer Zahlen könnte auch an einer Verbesserung der verwendeten Methodik liegen. Erfahrungsgemäß könnte es in den kommenden Monaten noch zu Nachmeldungen von Taten kommen, die im Jahr 2020 begangen wurde.

Betroffene von rechter Gewalt nach Geschlecht - 2020 Betroffene Kinder und Jugnedliche von rechter Gewalt - 2020 Rechte Gewalt nach Landkreisen - 2020 Registrierte Gewalttaten im Jahr 2020 Tatbestände von rechter Gewalt 2020 Tatmotive von rechter Gewalt 2020 Tatmotive von rechter Gewalt nach Landkreisen - 2020


Pressemitteilung der Opferberatungsstelle ezra vom 14.04.2021

Opferberatungsstelle ezra stellt Jahresstatistik 2020 vor: „Im vergangenen Jahr wurden jede Woche mindestens drei Menschen Opfer rechter Gewalt in Thüringen“

Die Opferberatungsstelle ezra hat am heutigen Mittwoch (14.04.2021) ihre Jahresstatistik des unabhängigen Monitorings rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen für das Jahr 2020 vorgestellt. Es wurden insgesamt 102 rechte, rassistische und antisemitische Gewaltstraftaten im Freistaat registriert, von denen mindestens 155 Menschen betroffen waren. Das häufigste Tatmotiv bleibt Rassismus (62 Fälle / 61 Prozent), gefolgt von Angriffen auf vermeintlich politische Gegner*innen (24 Fälle / 24 Prozent). Bei dem Großteil der Angriffe handelt es sich um einfache und gefährliche Körperverletzungen (einschließlich des Versuchs). Ein Todesfall fand Eingang in die Zählung: Ein 52-jähriger Mann wurde in Altenburg am 12. Februar 2020 aus homofeindlichen und sozialdarwinistischen Gründen brutal ermordet. Insgesamt wurden 206 Menschen im Jahr 2020 durch ezra unterstützt.

„Im vergangenen Jahr wurden jede Woche mindestens drei Menschen Opfer rechter Gewalt in Thüringen. Damit besteht weiterhin insbesondere für Menschen, die aus einer rassistischen Ideologie als ‚fremd‘ markiert werden, ein hohes Risiko angegriffen zu werden“, erklärt Franz Zobel, Projektkoordinator von ezra. Im Vergleich zu 2019 (108 Angriffe ohne Nachmeldungen) bleiben die Angriffszahlen auf dem gleichen Niveau. Zudem geht die fachspezifische Beratungsstelle wie jedes Jahr von einer hohen Anzahl von Angriffen aus, von denen weder Ermittlungsbehörden noch ezra erfahren.

Als ein Grund für die hohe Dunkelziffer sieht Zobel die massiven Probleme bei der Strafverfolgung rechtsmotivierter Gewalt unter anderem durch die Thüringer Justiz: „Verfahren werden eingestellt, verschleppt oder das rechte Tatmotiv nicht berücksichtigt. Das hat neben einer enormen zusätzlichen Belastung für die Betroffenen zur Folge, dass sie sich vom Rechtsstaat im Stich gelassen fühlen und resignieren. Diese katastrophale Botschaft wird auch von anderen Betroffenen wahrgenommen und eine Anzeige zum Teil als überflüssig angesehen.“ Als bekanntes Beispiel gilt der sogenannte Ballstädt-Prozess, bei dem die Betroffenen seit über sieben Jahren vergeblich auf eine rechtskräftige Verurteilung der Täter*innen warten.

Die Hochburg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen ist laut ezra- Statistik seit Jahren die Landeshauptstadt Erfurt (2020: 29 Angriffe). Im vergangenen Jahr kam es im Südosten der Stadt und vor der Thüringer Staatskanzlei zu brutalen rechten und rassistischen Angriffen durch die lokale Neonazi-Szene. Theresa Lauß, Beraterin bei ezra und zuständig im Team für die Thüringer Großstadt, ergänzt: „In einigen Stadtteilen hat sich über Jahre hinweg ein Angstraum fest etabliert, in denen rechte und rassistische Hetze, Beleidigungen, Bedrohungen und Gewalt zum Alltag gehören. Wir nehmen nicht wahr, dass die Verantwortlichen in Stadtpolitik und städtischen Behörden den Ernst der Lage ausreichend verstanden haben.“

Mit Blick auf das laufende Jahr warnt Zobel abschließend vor einer Eskalation rechter Gewalt im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den anstehenden Bundes- und Landtagswahlen: „Die Erfahrungen aus 2015 haben gezeigt, dass mit der Mobilisierung von organisierten Rassist*innen und Neonazis ein massiver Anstieg von rassistischen Angriffen einherging. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei den sogenannten ‚Corona-Leugner*innen‘ beobachten. Morddrohungen gegen Thüringer Politiker*innen und Angriffe auf Journalist*innen am Rande von Demonstrationen, die von antisemitischen Verschwörungsideologien geprägt sind, deuten auf das hohe Gewaltpotential hin.“

Zum zehnten Mal in Folge hat ezra die Jahresstatistik rechter Gewalt in Thüringen veröffentlicht. In die Statistik werden nur die Fälle aufgenommen, bei denen anhand fester Kriterien, die durch den Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) als Qualitätsstandards gesetzt wurden und die sich an der Definition des Bundeskriminalamts zu „Politisch motivierter Kriminalität – rechts“ orientieren, ein rechtes Tatmotiv erkennbar ist. Nicht alle Fälle, die in der ezra-Chronik veröffentlicht werden, fließen in die Statistik ein und umgekehrt.

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