Die Zahl der Fälle, in denen Politiker*innen der Alternative für Deutschland (AfD) als rechte Gewalttäter*innen auftreten, ist besorgniserregend. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der im VBRG e. V. zusammengeschlossenen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Insbesondere Kommunalpolitiker*innen der Partei griffen laut VBRG verstärkt Bürger*innen an, die sie als politische Gegner*innen sehen – teilweise sogar mit Waffengewalt.
„Die Gefahr, die von solchen Tätern – Männern mittleren Alters, oft Akademiker – ausgeht, darf keinesfalls unterschätzt werden“, warnt Robert Kusche vom VBRG-Vorstand und Geschäftsführer der Opferberatung SUPPORT der RAA Sachsen. Dass gewählte Abgeordnete als brutale Schläger aufträten, entspreche nicht der gängigen Vorstellung rechter Gewalttäter bei Ermittlungsbehörden und Justiz, so Kusche. Umso wichtiger sei, dass der Rechtsstaat sich auf die Seite der Angegriffenen stelle; durch schleppende Strafverfahren fühlten sie sich dagegen im Stich gelassen.
Die Täter*innen zeigen vor Gericht in der Regel keine Reue, sondern inszenierten sich als Opfer und berufen sich auf vermeintliche Notwehr. Diese Täter-Opfer-Umkehr wird auch von der Parteiführung gestützt: Zuletzt stellte sich Ende März 2023 der stellvertretende AfD-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, demonstrativ vor einen Kreistagsabgeordneten seiner Partei, der innerhalb von vier Monaten zwei Mal wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden war.
Die VBRG-Auswertung stimmt mit jüngsten Forschungsergebnissen überein. Die US-amerikanische Politikprofessorin Rafaela Dancygier hatte im Februar 2023 ihre Untersuchungsergebnisse zur Unterstützung für Gewalttaten gegen Geflüchtete in Deutschland in den Jahren 2016/2017 in der renommierten Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht. Ein knappes Fünftel der Befragten befürwortet demnach Gewalttaten gegen Geflüchtete. Und die meisten dieser Befürworter*innen gaben an, AfD zu wählen. Kandidat*innen, die offen zu rassistischer Gewalt aufrufen, seien bei Wähler*innen der AfD besonders populär, stellte die Studie weiter fest. Dies könne, so die in Princeton lehrende Politikwissenschaftlerin, einen Anreiz für die weitere Radikalisierung der Partei darstellen.
Dass die AfD zu rassistischem Hass aufstachelt und als Stichwortgeberin für rechte Gewalt agiert, ist ein Vorwurf, den sich die Partei gefallen lassen muss – spätestens seit der Kampagne gegen die Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge 2015 und den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 sowie dem nachfolgenden Neonazi-Mord an Walter Lübcke. Zunehmend aber treten nun AfD-Funktionär*innen selbst als Gewalttäter*innen auf. Ein Zeichen für diese gestiegene Gewaltbereitschaft ist auch die mutmaßliche Verstrickung von Parteimitgliedern und einer ehemaligen Bundestagsabgeordneten in die vom Generalbundesanwalt als terroristische Vereinigung eingestufte Reichsbürger*innen-Gruppe „Patriotische Union“.
Der VBRG und die Opferberatungsstellen fordern angesichts des Gewalt- und Bedrohungspotenzials eine konsequente Abgrenzung aller demokratischen Parteien nach rechts, auch auf kommunaler Ebene.
Einige Beispielfälle aus dem unabhängigen Monitoring der im VBRG zusammengeschlossenen Opferberatungsstellen zeigen die zunehmende Gewaltbereitschaft von AfD-Funktionär*innen:
1) Sachsen-Anhalt, März 2023
AfD-Kreistagsabgeordneter tritt junger Frau in den Bauch
In Abwesenheit des angeklagten AfD-Kreistagsabgeordneten Sven Ebert aus dem Saale-Holzlandkreis erließ das Amtsgericht Merseburg einen Strafbefehl und verurteilte den 50-Jährigen im März 2023 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Umzugsunternehmer vorgeworfen, im Mai 2021 eine junge Frau unvermittelt mit Reizgas attackiert, in den Bauch getreten und ins Gesicht geschlagen zu haben. Der AfD-Politiker und ein weiterer Mann hatten die Angegriffene und ihre zwei Begleiterinnen verdächtigt, AfD-Wahlplakate beschmiert zu haben. Ob der Strafbefehl bereits rechtskräftig geworden ist, ist nicht bekannt. Ebert war zuvor im Dezember 2022 wegen eines Pfefferspray-Angriffs auf Studierende der Universität Halle zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. (Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, 25.3.2023)
2) Berlin, Februar 2023
AfD-Bezirksverordneter beißt Schwarze Musikjournalistin
Die Musikjournalistin Steph Karl leidet seit einem rassistischen Angriff unter Schlafstörungen, Angst und Panikattacken. Dr. Kai Borrmann, AfD-Bezirksverordneter in Berlin-Mitte, wurde am 14. Februar 2023 für seinen Angriff auf die Musikjournalistin in erster Instanz vom Amtsgericht Tiergarten wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen á 60 Euro verurteilt. Der AfD-Politiker – Jahrgang 1966, Islamwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus – hatte im August 2021 in einem Café in Berlin die beiden Frauen zuerst wiederholt mit dem N-Wort beleidigt. Als die Frauen das Café deshalb verließen, verfolgte der AfD-Mann die Frauen, schlug die Moderatorin ins Gesicht und biss ihr in den Arm. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (Quellen: Tagesspiegel, 13.1.2023, ND, 14.2.2023)
3) Brandenburg, Dezember 2022
AfD-Kreistagsabgeordneter wegen Freiheitsberaubung verurteilt
Der Kreistagsabgeordnete und Panketaler Gemeindevertreter Marcel Donsch wurde im Dezember 2022 vom Amtsgericht Bernau in erster Instanz wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Donsch musste sich verantworten, weil er gemeinsam mit zwei weiteren Angeklagten in Selbstjustiz einen Mann, dem Bekannte der Angeklagten Stalking vorgeworfen hatten, entführt und misshandelt haben soll. Die drei Komplizen sollen den Mann im Jahr 2015 in einen Lieferwagen gezerrt, entkleidet, gefesselt und in einem Waldstück zusammengeschlagen haben. Der Kommunalpolitiker, der 2015 in die AfD eintrat und 2019 für die Partei in den Kreistag einzog, ist seit Frühjahr 2022 Fraktionsvorsitzender der AfD-Abspaltung „Die Konservativen“. Der Verurteilte beschimpfte den Richter. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (Quellen: MOZ, 3.1.2023)
4) Baden-Württemberg, Dezember 2022
AfD-Kommunalpolitiker sticht Ersthelfer nieder
„Ich wollte nur helfen. Bis heute habe ich Alpträume.“ Das sagt ein 63-jähriger Freiburger, der gemeinsam mit seiner 52-jährigen Frau spontan zwei Jugendlichen zu Hilfe kam, die von einem bewaffneten Mann attackiert wurden: Robert H., ehemaliger Freiburger Gemeinderatskandidat für die AfD, wurde im Dezember 2022 vom Amtsgericht Freiburg in erster Instanz wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 1.200 Euro verurteilt. Am 12. Juni 2021 hatte der damals 39-Jährige zwei Jugendliche mit Reizgas attackiert, weil diese ihn als „Fascho“ beschimpft hatten. Das Ehepaar, das die Jugendlichen schützen wollte, besprühte der Angreifer daraufhin ebenfalls mit Reizgas. Der AfD-Politiker verletzte den 63-Jährigen außerdem mit einem Messer im Brustbereich. Die Staatsanwaltschaft Freiburg hatte lediglich den Pfefferspray-Angriff auf die Ersthelfer*innen angeklagt und den Messerstich des AfD-Politikers als Notwehrhandlung gewertet. „Bis heute schmerzt mich der Vorfall“, sagt die 52-Jährige, die vor vielen Jahren aus Peru nach Freiburg kam, „alles Vertrauen ist weg.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (Quellen: SWR, 17.10.2022)
5) Sachsen-Anhalt, Dezember 2022
AfD-Kreistagsabgeordneter greift Studenten mit Reizgas an
Nachdem ein damals 28-jährigen Student und sein Kommilitone nach dem Besuch der Universitätsmensa in Halle (Saale) im Frühjahr 2019 unvermittelt von einem AfD-Kreistagsmitglied angegriffen wurden, verließ der Verletzte aus Angst vor weiteren Angriffen die Stadt. Erst im Dezember 2022 verurteilte das Amtsgericht Halle den Angreifer Sven Ebert in erster Instanz wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe. Der AfD-Kreistagsabgeordnete aus dem Saale-Holzlandkreis hatte die beiden Studenten beleidigt („Verpisst euch aus meiner Stadt!“) und ihnen Pfefferspray direkt ins Gesicht gesprüht. Einige Wochen zuvor hatten die Geschädigten den AfD-Politiker in der Mensa zur Rede gestellt, weil der mit einem T-Shirt der rechtsextremen Identitären Bewegung den Campus betreten hatte. Gegen das Urteil hat der zur Tatzeit 50-jährige Umzugsunternehmer Berufung eingelegt. (Quelle: Mobile Opferberatung, 17.3.2023)
6) Niedersachsen, November 2022
AfD-Ratsherr verletzt Linken-Bundestagskandidatin
Die Paderborner Bundestagskandidatin der Linken, Martina Schu, wurde im September 2021 bei einer Kundgebung so heftig gegen den Kopf geschlagen, dass sie ein Schleudertrauma erlitt. Der Täter, der Soester Ratsherr und Kreistagsabgeordnete der AfD, Mirko Fischer, hatte an einer Wahlkampfveranstaltung mit Björn Höcke in Paderborn teilgenommen. Dabei ging er zielgerichtet auf Martina Schu zu, die an einer Gegendemonstration teilnahm, und attackierte sie ohne Vorwarnung. Die verletzte Politikerin will sich nicht einschüchtern lassen. Sie warf der AfD und ihren Mandatsträger*innen vor, „ein Klima der Angst schaffen, um Andersdenkende mundtot zu machen.“ Das Paderborner Amtsgericht verurteilte den 51-jährigen AfD-Politiker im November 2022 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe. (Quellen: Opferberatung BackUp, Soester Anzeiger, 29.11.2022)
7) Sachsen, Juni 2022
Ex-AfD-Landesvorstandsmitglied wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt
Im Februar 2022 verurteilte das Amtsgericht Dresden Daniel Zabel, der in der JVA Dresden als Justizvollzugsbeamter beschäftigt war, und vier weitere JVA-Beamte wegen rassistischer Misshandlungen u. a. an einem tunesischen Häftling im Jahr 2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Monaten auf Bewährung. Das Opfer erlitt mehrere Blutergüsse. Welche psychischen Folgen der Tunesier erlitt, ist nicht bekannt, er wurde nach dem Angriff abgeschoben und im Prozess vier Jahre nach der Tat nicht als Zeuge gehört. Zabel war im Februar 2020 in den sächsischen AfD-Landesvorstandes gewählt worden. In seine Strafe einbezogen wurde eine frühere Bewährungsstrafe, weil der AfD-Politiker nach einer tödlichen Messerattacke in Chemnitz 2018 einen Haftbefehl gegen einen Geflüchteten verbreitet hatte. Der an den Pranger gestellte irakische Mann war unschuldig, die Ermittlungen wurden eingestellt. Das Urteil gegen Daniel Zabel ist noch nicht rechtskräftig, die Berufungsverhandlung soll im Sommer 2023 stattfinden. (Quellen: Opferberatung der RAA Sachsen, Tag24, 24.6.2022, Der Spiegel, 10.6.2022)
8) Baden-Württemberg, Mai 2022
Kommunalpolitiker sprüht Reizgas auf Ersthelfer
Dubravko Mandic war bis April 2022 AfD-Stadtrat in Freiburg, inzwischen ist er aus der Partei ausgetreten und hat sein Mandat niedergelegt. Im Mai 2022 wurde er vom Amtsgericht Freiburg wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. Der damals 42-jährige Rechtsanwalt hatte 2019 mit einem Komplizen zunächst zwei Personen festgehalten, denen die beiden AfD-Politiker unterstellten, Plakate ihrer Partei zu beschädigen. Ein zufällig dazugekommener Fahrradfahrer, der einschreiten wollte, wurde von Mandic als „Zecke“ beleidigt und mit Reizgas besprüht. Der mutige Fahrradfahrer leidet seit dem Vorfall unter Schlafstörungen und musste sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Der Komplize von Mandic, der den Ersthelfer mit einer Zange attackierte, blieb straffrei. (Quellen: Opferberatung Leuchtlinie, SWR, 19.1.2023)