Pressemitteilung VBRG

Pressemitteilung: Der Hanau-Untersuchungsausschuss zu gravierenden Fehlern von Polizei und Justiz in Hessen ist von bundesweiter Bedeutung

Berlin/Wiesbaden, den 3.12.2021

Der Hanau-Untersuchungsausschuss zu gravierenden Fehlern von Polizei und Justiz in Hessen ist von bundesweiter Bedeutung

Warum sind Polizei und Justiz nach den Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse im Bundestag und Hessischen Landtag nicht adäquat auf rechtsterroristische und rassistische Attentate vorbereitet gewesen?

„Der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zum rassistischen Attentat am 19. Februar 2020 in Hanau ist von bundesweiter Bedeutung“, betont der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.). Denn in keinem anderen Bundesland hat Rechtsterrorismus in den vergangenen 15 Jahren so viele Todesopfer gefordert wie in Hessen. Zudem wirft die von den Opferfamilien und Überlebenden inzwischen rekonstruierte „Kette des Versagens“ von Polizei und anderen hessischen Sicherheitsbehörden, die das Attentat ermöglicht und den Polizeieinsatz am 19. Februar 2020 zu einem Desaster gemacht haben, ein erschreckendes Schlaglicht auf mangelnde Konsequenzen aus den Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse und auf den anhaltenden institutionellen Rassismus bei Polizei und Justiz.

„Von bundesweiter Bedeutung ist die Frage: Wie schützen Polizei und Sicherheitsbehörden die Bevölkerung vor rassistischen Attentaten – und welche Konsequenzen wurden in NSU-Tatortländern wie Hessen seit der NSU-Selbstenttarnung vor zehn Jahren – jenseits der Sonntagsreden – wirklich gezogen, um Betroffene von Rassismus und Antisemitismus besser vor Attentaten zu schützen?“ sagt Robert Kusche vom Vorstand des VBRG. Könnten Vili-Viorel Păun und auch Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtovic, die am zweiten Tatort in Kesselstadt ermordet wurden, noch leben, wenn das Notrufsystem des Polizeipräsidiums Südosthessen nicht völlig veraltet und am 19. Februar 2020 noch dazu unterbesetzt gewesen wäre? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass das Notrufsystem für eine 100.000 Einwohnerstadt nicht adäquat ausgerüstet war? Immerhin hatten Experten schon 2016 in einem Gutachten gewarnt: Der Notruf in Hanau sei für den Fall eines Attentats nicht funktionsfähig – das wussten Polizeiführung und politisch Verantwortliche mithin vier Jahre, ohne zu handeln. Wie das Rechtsterrorismus-Kernland Hessen den Schutz der Bevölkerung vor weiteren rassistischen Attentaten organisiert, hätte seit dem NSU-Mord an Halit Yozgat im April 2006 und spätestens seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 der Leitfaden für Polizeiführungen und Innenpolitik sein müssen. Zumal zwei Bundestagsuntersuchungsausschüsse der Hessischen Landesregierung im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie ein verheerendes Zeugnis ausgestellt haben.[1]

Seit dem rechtsterroristischen Mord an Walter Lübcke und dem rassistischen Attentat in Hanau ist erschreckend deutlich geworden: Weder Polizei, noch Justiz und politisch Verantwortliche für die Innere Sicherheit in Hessen waren und sind bereit, eigenverantwortlich auf der Grundlage von transparenter und umfassender Aufklärung die notwendigen Konsequenzen zum Schutz der Bevölkerung vor rechtsterroristischer, rassistischer und antisemitischem Terror und Gewalt zu ziehen. Jetzt obliegt es dem Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags, die von den Angehörigen der Ermordeten und Überlebenden gestellten 10 Fragen zur umfassenden Aufklärung sorgfältig zu bearbeiten und dafür Sorge zu tragen, dass „nie wieder andere Familien einen so schrecklichen Verlust erleiden“ (Serpil Unvar, Mutter des am 19. Februar 2020 in Hanau ermordeten Ferhat Unvar).

Bitter, aber angesichts des Verhaltens von CDU und Grünen-Abgeordneten im Lübcke-Untersuchungsausschuss ist die Forderung an die Vertreter*innen aller demokratischen Parteien im Hessischen Landtag: Jegliche Zusammenarbeit mit der AfD verbietet sich!

[1] Vgl. Abschlussberichte der NSU-Untersuchungsausschüsse im Bundestag: https://dserver.bundestag.de/btd/17/146/1714600.pdf ; https://dserver.bundestag.de/btd/18/129/1812950.pdf S. 866ff

Für weitere Informationen kontaktieren sie bitte:

Heike Kleffner, Geschäftsführerin des VBRG e.V., info@verband-brg.de, www.verband-brg.de

Download: PE des VBRG vom 3.12.2021 – Hanau Untersuchungsausschuss hat bundesweite Bedeutung (PDF)