Analyse: Rechte Gewalt durch Anhänger*innen von Verschwörungsideologien und Coronaleugner-Bewegung

10.05.2022

Die Demonstrationen, Foren, Telegram-Kanäle und Sozialen Netzwerke von Coronaleugner*innen, Pandemieverharmloser*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien haben sich als öffentliche Räume zur Verbreitung von radikalen Antisemitismus, Rassismus sowie demokratie- und wissenschaftsfeindliche Hetze etabliert. Diese bilden den Ausgangspunkt für eine Legitimierung von Gewalttaten bis hin zu Mord und Umsturzplänen, die als Teil des „Kampfes gegen das System“ legitimiert um zum „Freiheitskampf“ stilisiert werden.

Im unabhängigen Monitoring der im VBRG zusammengeschlossenen Opferberatungsstellen werden nach intensiven fachlichen Diskussionen unter den Beratungsstellen und mit zivilgesellschaftlichen Kooperationspartner*innen Gewalttaten im Zusammenhang mit Pandemieschutz-Maßnahmen und von Anhänger*innen der Coronaleugner-Bewegung anhand nachfolgender Kriterien als rechte Gewalt gewertet:

+ Politische (Selbst)-Verortung des oder der Täter*in (u.a. in Sozialen Netzwerken, Aktivitäten oder Zugehörigkeit in extrem rechten Parteien, Neonazi-Kameradschaften, Gruppierungen oder der Reichsbürger*innenbewegung).

Entweder es sind eine Organisierung oder Aktivitäten in rechten Gruppierungen bekannt, oder eine Zuordnung ergibt sich aus Kleidung, etwa T-Shirts und Armbinden mit antisemitischen Botschaften wie „Impfen macht Frei“, Tattoos oder Symboliken. Von einer ideologischen Verbundenheit mit rechten Milieus kann auch ausgegangen werden, wenn Täter*innen an rechten Demonstrationen teilgenommen haben, sich über Social Media entsprechend vernetzen und äußern sowie wenn rechte Einstellungen durch Äußerungen vor, während oder nach der Tat zum Ausdruck gebracht werden.

+ Auswahl der Angegriffenen und Betroffenen (u.a. als Repräsentant*innen von Gruppen, die im extrem rechten Weltbild als politische Gegner*innen angesehen werden – beispielsweise Journalist*innen, Gegendemonstrant*innen gegen Demonstrationen und Kundgebungen der Leugner*innen-Bewegung, Wissenschaftler*innen, Mitarbeiter*innen in Test- und Impfzentren, politische Verantwortungsträger*innen in der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik).

Betroffen von diesen Angriffen sind diejenigen, denen durch die Täter*innen bestimmte Rollen, Positionen oder Handlungen zugeschrieben werden. Sie werden als Feind konstruiert und stellvertretend angegriffen: Gegendemonstrant*innen zu Aufmärschen der Coronaleugner/Pandemieverharmloser*innen-Bewegung, Journalist*innen im Kontext von Demonstrationen, Zugbegleiter*innen, Kassierer*innen, Laden- oder Gastronomiebetreiber*innen etc., die auf die Maskenpflicht hinweisen oder 2 bzw. 3G Nachweise kontrollieren, Personal in Impf- oder Testzentren, im Gesundheitswesen, Ärzt*innen. Im aktuellen Diskurs eine Feindbildkonstruktion auf Basis von rechten Verschwörungsideologien statt. Die Betroffenen werden „dem System“ zugeordnet, die sich mit der Aufforderung Maske zu tragen oder durch ihre aktive Beteiligung am Impfen, gegen „das Volk“ stellen. Sie werden zu politischen Gegner*innen erklärt. Sozialdarwinismus, Antisemitismus und Rassismus spielen in dieser Feindbildkonstruktion als Ideologieelemente ebenso eine Rolle wie klassische rechte Denkmuster der Ablehnung demokratischer Prozesse und Institutionen.

+ Umstände der Tat: (Wenn etwa Mitarbeiter*innen von Tankstellen, Supermärkten, Bahn- und ÖPNV-Personal angegriffen werden, weil sie die Maskenpflicht durchsetzen und der*die Täter*innen mit diesem Angriff ein Zeichen setzen oder eine Botschaft „gegen das System/die Regierung“ verbindet und/oder sich antisemitisch und/oder rassistisch äußert. Als Umstände der Tat gelten auch Zeit und Ort, also etwa Kundgebungen und Aufmärsche der Pandemieleugner-/verharmloser*innen-Bewegung.)

Auf der Basis rechter Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Sozialdarwinismus werden etwa Mitarbeiter*innen von Test- und Impfzentren oder Zug-, Laden- und Gastronomiepersonal, das auf die Maskenpflicht hinweist, als politische Gegner*innen angesehen und angegriffen.  Dabei spielt auch die Ablehnung demokratischer Entscheidungsprozesse und Institutionen in der Konstruktion der Feindbildern eine Rolle. Hinzu kommen Fälle, in denen Rassismus die Tat zusätzlich eskalierte.

Die Umstände einer Gewalttat können auch dann Hinweise auf rechte Ideologien als Tatmotiv liefern, wenn die Täter*innen nicht in verschwörungsideologischen Milieus aktiv sind bzw. die politische (Selbst-)Verortung von Täter*innen sich nicht explizit klären lässt. So spricht die etwa die Tatdynamik für eine entsprechende Verortung, wenn wir davon ausgehen, dass ein Faustschlag als Reaktion auf die Aufforderung Maske zu tragen nicht verhältnismäßig ist und diese Überreaktion aus einer Verfestigung schon zumeist vorher vorhandener rechter Einstellungen im Zuge der Proteste gegen die Maßnahmen zur Einschränkung der Coronapandemie resultiert. Denn die Maskenpflicht und 2- bzw.3G-Regeln wurden durch verschwörungsideologische und rechtsextreme Milieus zu vermeintlichen Unterdrückungsmaßnahmen erklärt. Wer sich dagegen wehrt, wird zum „Widerstands- oder Freiheitskämpfer“ stilisiert. Daraus resultieren genannte Gelegenheitstaten, bei denen diejenigen, die die Pandemieschutz-Regeln durchsetzen, spontan und unvermutet angegriffen werden, und die Täter*innen sich als „Widerstandskämpfer*innen“ inszenieren

Vielen Gewalttaten von Coronaleugner*innen, Pandemieverharmloser*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien liegen Antisemitismus, Rassismus und der Glaube an unterschiedliche „Verschwörungsnarrative“ zugrunde, die zumeist einen antisemitischen Hintergrund haben. Immer wieder verstehen die Täter*innen ihre Gewalttaten als „Botschaftstaten“ – wie etwa im Fall des Mordes an dem 20-jährigen Tankstellenmitarbeiter Alex W. am 18.9.2021 in Idar-Oberstein. Mit den tödlichen und gezielten Schüssen auf Alex W., der auf die Einhaltung der Maskenpflicht und Pandemieschutzmaßnahmen bestanden hatte, wollte der Täter nach eigener Aussage „ein Zeichen“ gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung setzen, da er nicht „an Merkel, an Soros, an Spahn“ herankomme.

Rechte Tötungsdelikte in Idar-Oberstein und Senzig

Sowohl der Mord an dem jungen Tankstellenmitarbeiter Alex W. am 18.9.2021 durch einen Anhänger rechter Verschwörungsideologien als auch die tödlichen Schüsse auf vier Familienmitglieder der Familie R. – darunter drei Kinder im Grundschulalter – in Senzig (Brandenburg) durch einen Anhänger der Coronaleugner-Bewegung am 4. Dezember 2021 sind rechts motivierte Tötungsdelikte.

In beiden Fällen hatten sich die mit illegalen Schusswaffen ausgestatten Täter schon seit mehreren Jahren in rechten, rassistischen und antisemitischen Milieus bewegt – und nicht erst mit Beginn der Pandemieschutzmaßnahmen. Der Täter von Idar-Oberstein etwa hatte über Jahre in zahlreichen englischsprachigen Telegram-Videonachrichten an seinen in den USA lebenden Schwager, der Polizist ist, den Klimawandel und die Corona-Pandemie geleugnert und verbreitete Verschwörungserzählungen zum Anschlag auf das World Trade Center 2001. Er sei sich sicher, dass die Wirtschaft und die Gesellschaft bald zusammenbrechen würden. Dafür verantwortlich machte er „eine Million Afrikaner, die bald herkommen“ sowie George Soros, der „bei dieser Invasion, die Hände mit im Spiel hat“. Die extrem rechte AfD war für N. „die einzige Alternative“, die allerdings „keine Chance hat, da ihr der Makel als Nazis anhaftet“. Denn „Deutsche können mit Patriotismus nicht umgehen“, wie N. seinem Schwager in der gleichen Videonachricht mitteilt. Gefestigt hatte er dieses extrem rechte Weltbild u.a. durch Videos des rechten, verschwörungsideologischen US-Radiomoderators Alex Jones. Der Täter von Senzig war ab Sommer 2016  fast ein Jahr lang Fördermitglied der AfD Brandenburg und trat 2021 der Partei „Die Basis“ bei, die aus der Coronaleugner-Bewegung hervorgegangen ist. Seine politische Selbstverortung zeigt sich auch in Impfgegner-Telegramgruppen, in denen auch hohe AfD-Funktionäre aktiv waren. Beide Tötungsdelikte sind klassische rechte Botschaftstaten. Im Fall des Mordes an Alex W. in Idar-Oberstein hat der Täter im Prozess am Landgericht Bad Kreuznach eingeräumt, Alex. W. stellvertretend für Politiker*innen wie Angela Merkel und Jens Spahn, die er für die Pandemieschutzmaßnahme der Maskenpflicht verantwortlich machte, getötet zu haben. (Quelle: NSU Watch Prozessdokumentation zum Mord in Idar-Oberstein)

Dennoch wird der Mord an Alex W. in Idar-Oberstein durch einen Anhänger von Verschwörungsideologien bislang vom BKA nicht als politisch rechts motiviertes Tötungsdelikt anerkannt, wohingegen die tödlichen Schüsse auf vier Angehörige der Familie R. in Senzig durch einen Anhänger der Coronaleugner-Bewegung als antisemitisch motiviertes Tötungsdelikt in der Kategorie ‚PMK Rechts gewertet’ werden. (Quellen: Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage MdB Martina Renner, vom 22.2.2022; Opferperspektive e.V.; Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage von MdB Petra Pau)

Einige Beispielfälle aus dem unabhängigen Monitoring der im VBRG zusammengeschlossenen Opferberatungsstellen machen sowohl die ideologischen Hintergründe als auch die Bewertungen der Taten als rechte Gewalt deutlich.

Angriffe in der Kategorie „politische Gegner*innen“ im Kontext der Coronaleugner/Pandemieverharmloser*innen-Bewegung:

a) bei Demonstrationen und Kundgebungen

1.5.2021, Weimar:  Während einer Demonstration von sogenannten „Querdenkern“ durchbricht ein Aufmarschteilnehmer eine Polizeikette. Der Angreifer attackiert dann einen Journalisten mit Fäusten, der sich hinter der Polizeikette befindet. Der Journalist wird an Knie und Rücken verletzt. (Quelle: Opferberatung ezra, Thüringen)

1.8.2021, Berlin-Charlottenburg: Eine Mitarbeiterin des „Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus“ (JFDA), die eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am Fürstenplatz in Westend beobachtete, wird von Teilnehmenden aggressiv bedrängt und ins Gesicht gespuckt. (Quelle: ReachOut Berlin)

27.11.2021, Ettlingen (Kreis Karlsruhe): Nach einer nicht genehmigten Versammlung der Querdenken-Bewegung ein 65-jähriger Passant durch Demonstrationsteilnehmer geschlagen und verletzt, weil er zuvor nach Beleidigungen durch Aufmarschteilnehmer die Polizei alarmiert hatte. (Quelle: Opferberatung Leuchtlinie in Baden-Württemberg)

06.12.2021, Magdeburg: Ein 30-jähriger Mann vom Bündnis solidarisches Magdeburg, der lautstark gegen eine unangemeldete Demonstration von Coronaleugner*innen protestierte, wird daraufhin von Teilnehmenden beleidigt, bedroht, geschlagen und getreten. (Quelle: Mobile Opferberatung, Sachsen-Anhalt)

20.12. 2021, Halle (Saale): Bei einem sog. „Spaziergang“ der verschwörungsideologischen Bewegung Halle wird ein Fotograf, der den Aufmarsch dokumentierte, nach „Stasi 2.0“-Pöbeleien von einem Teilnehmer mit voller Wucht getreten. (Quelle: Mobile Opferberatung, Sachsen-Anhalt)

b) gegen politische Verantwortungsträger*innen

Laut einer Studie der Zeitschrift Kommunal berichteten 72% der Kommunalpolitiker*innen, in der Pandemie massiv beleidigt, beschimpft, bedroht und tätlich angegriffen geworden zu sein. Dazu ein Beispiel von vielen:

19.7.2021, Sallgast OT Henriette (Landkreis Elbe-Elster): Nachdem er sich öffentlich für die Corona-Schutzimpfung ausgesprochen hat, wird einem Kommunalpolitiker der Briefkasten mit einem Sprengkörper weggesprengt. (Quelle: Opferperspektive e.V.)

Brandstiftungen und Gewalttaten gegen Test- und Impfzentren sowie deren Mitarbeiter*innen

8.6.2021, Berlin-Marzahn: Zwei Mitarbeiter*innen eines Coronatest-Centers an der Marzahner Promenade werden durch einen Kunden verletzt. Ein Mitarbeiter wird zunächst beleidigt und bedroht, nachdem er es abgelehnt hatte, den 25-jährigen Kunden ohne Ausweis zu testen. Als der Kunde aufgefordert wird, die Räume zu verlassen, verletzt der 25-Jährige zwei Mitarbeiter*innen des Testcenters mit einem Spachtel. Als ein Security-Mitarbeiter den Täter daraufhin zum Ausgang bringt, äußert dieser rechte Parolen und zeigt mehrfach den sogenannten Hitlergruß. Die Polizei nimmt den 25-Jährigen fest und verhindert, dass der Mann, der plötzlich ein Cutter-Messer zieht, sich erneut in Richtung der Mitarbeiter*innen des Testcenters begibt. (Quelle: ReachOut Berlin)

21.08.2021 Querfurt (Saalekreis): Ein Mitarbeiter eines Impfteams wird auf dem Gelände der Burganlage von Coronaleugnern massiv angegriffen. Der 45-Jährige hatte während des Burgfestes mit seinen Kolleg*innen ein mobiles Impfangebot betreut, als ein mehrfach einschlägig vorbestrafter Neonazi und seine drei Begleiter die Mitarbeitenden des Impfteams zunächst mit einem Handy filmte, die Shoah relativierte und behauptete, Leute „sollten totgespritzt werden“. Bei der Polizei erstatten sowohl der Angegriffene als auch der Neonazi Strafanzeige. Kurze Zeit später veröffentlicht der Neonazi das Video auf seinem Telegram-Kanal – daraufhin wird ungehindert gegen den Betroffenen gehetzt und ihm mit weiteren Angegriffen gedroht. (Quelle: Mobile Opferberatung Sachsen-Anhalt)

14.09.2021, Treuen (Vogtlandkreis): Unbekannte Täter werfen abends drei Brandsätze gegen das Rolltor eines Impfzentrums. Nur glückliche Umstände verhindern den Ausbruch eines Brandes.  (Quelle: Opferberatung SUPPORT, RAA Sachsen)

21.11.2021, Landkreis Borken (NRW): An zwei Corona-Schnelltestzentren legen unbekannte Täter*innen nachts Brandsätze. Durch das Feuer entsteht ein Sachschaden in Höhe von rund 20.000 Euro. Da ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, übernahm der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen. (Quelle: Opferberatung Rheinland)

Rassismus als Tatmotiv

19.7.2021, Leipzig-Reudnitz: In einem großen Supermarkt in Reudnitz wurde eine Kundin von einer Supermarktangestellten darauf hingewiesen, dass sie ihre Maske korrekt tragen müsse, um an der Kasse bedient zu werden. Weil sich die Kundin weigerte, der Aufforderung nachzukommen, wurde der Bezahlprozess abgebrochen. Daraufhin beleidigte die Kundin die Supermarktangestellte und warf ihr einen harten Gegenstand ins Gesicht. Sie musste später in der Notaufnahme untersucht werden. Ein Securitymitarbeiter, der daraufhin versuchte die Maskenverweigerin zu stellen, wurde rassistisch beleidigt. (Quelle: Opferberatung SUPPORT, RAA Sachsen)

6.9.2021, Berlin-Treptow: Ein Security-Mitarbeiter eines Supermarkts wird von einem Kunden, den er zuvor vergeblich auf die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske hingewiesen hat, mehrfach rassistisch beleidigt. Dann erhält der Securitymitarbeiter einen Faustschlag ins Gesicht und erleidet blutende Stichverletzungen am Arm und an der Schulter. (Quelle: ReachOut Berlin)

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