Pressemitteilung VBRG

Pressemitteilung und Spendenaufruf des VBRG und der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt:

Gegen die Schlussstrich-Entscheidung des BGH. Wir bitten um Spenden für İsmet Tekin und Aftax I. als Überlebende des Halle-Attentats

„Wir können das Urteil des OLG Naumburg und die Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht als gerecht akzeptieren.“

„Wir bitten um solidarische Spenden als Zeichen der Unterstützung für İsmet Tekin und Aftax I. als Überlebende des Halle-Attentats gegen diese Schlussstrich-Entscheidung.“

                                                                             Halle (Saale)/Berlin, den 13. April 2022

Zweieinhalb Jahre nach dem rechtsterroristischen, antisemitisch und rassistisch motivierten Attentat an Yom Kippur 2019 in Halle (Saale) und Wiedersdorf hat der Bundesgerichtshof die Revision von zwei Überlebenden des Attentats, İsmet Tekin und Aftax I., gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom Dezember 2020 ohne Begründung verworfen. Bei dem Attentat waren Jana Lange vor der Synagoge und Kevin Schwarze im Kiez Döner ermordet worden. Mindestens 68 Menschen überlebten zum Teil schwer verletzt. Die Angehörigen der Ermordeten und Überlebende des Attentats wie İsmet Tekin und Aftax I. kämpfen bis heute mit existenziellen Folgen. Mit ihrer Revision hatten sich die beiden Nebenkläger dagegen gewandt, dass das OLG Naumburg den Versuch des Attentäters, mit seinem Fluchtfahrzeug Aftax I. als Schwarze Person gezielt zu überfahren und zu töten, lediglich als fahrlässige Körperverletzung gewertet hatte und die Schüsse auf İsmet Tekin nicht als versuchten Mord wertete und nicht im Urteil einbezog.

„In unseren Revisionen haben wir im Einzelnen dargestellt, dass die Beweiswürdigung des OLG Naumburg in beiden Fällen lückenhaft und widersprüchlich war. Der Bundesgerichtshof hat beide Revisionen ohne nähere Begründung verworfen. Das Gericht hat damit auch hier schlicht einen Schlussstrich unter das Verfahren gezogen“, kritisieren die Nebenklagevertreter von İsmet Tekin, Rechtsanwälte Onur Özata und Björn Elberling. Dass das Gericht jedoch all die Beweise dafür nicht sehen wollte, dass der Attentäter auch İsmet Tekin ganz konkret und vorsätzlich gefährdete, sei ein Schlag ins Gesicht nicht nur dieser beiden Verletzten.

Rechtsanwält*innen Ilil Friedman und Benjamin Derin, die Aftax I. als Nebenkläger vertreten, betonen: „Aftax I. und İsmet Tekin durften erwarten, dass die rassistisch motivierten Tötungsversuche vom Gericht wahrgenommen und als solche anerkannt werden. Stattdessen scheint man der Auffassung zu sein, mit der Verurteilung des Attentäters zu lebenslanger Freiheitsstrafe alles Erforderliche getan zu haben. Dass Bundesanwaltschaft und Justiz trotz aller entgegenstehender Anhaltspunkte am Ende dem Attentäter glauben, dass er Aftax I. nicht absichtlich angefahren und seinen Tod auch nicht in Kauf genommen hat, ist juristisch nur schwer nachvollziehbar. Für die beiden bleibt es eine große Enttäuschung..“

„Mit der verworfenen Revision und der Rechtskraft dieses Urteils entzieht sich die Justiz in beschämender Weise der Verantwortung, die rassistischen Motive der Gewalt gegen Aftax I. und İsmet Tekin anzuerkennen“, sagt Talya Feldman, Überlebende des Attentats auf die Synagoge. „Damit werden wir einmal mehr daran erinnert, dass die Worte und Meinungen von Tätern über die gelebten Erfahrungen von Zeug*innen und Überlebenden gestellt werden. Es ist ein Urteil, das wir niemals als gerecht akzeptieren können.“

Naomi Henkel-Guembel, die das Attentat in der Synagoge überlebte, sagt: „Dass die Mordversuche an Aftax I. und İsmet Tekin als solche weder vom Oberlandesgericht Naumburg noch vom Bundesgerichtshof anerkannt wurden, ist ein herber Rückschlag. Es scheint, als ob der deutsche Rechtsstaat nicht aus seiner modernen Geschichte lernen würde“. Naomi Henkel-Guembel betont auch: „Über die Zeit des Gerichtsprozesses hinweg standen und stehen Betroffene des Anschlags füreinander ein, um das Ausmaß des Anschlags sichtbar zu machen.“

„Gegen diese Schlussstrich-Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist es wichtig, ein konkretes Zeichen der Solidarität zu setzen – und damit an die gelebte Praxis des Netzwerks der Solidarität anzuknüpfen, das die Überlebenden des mörderischen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsterrorismus in Halle, Hanau, Mölln und darüber hinaus aufgebaut haben“, sagt Antje Arndt, Vorstandsmitglied des VBRG e.V. und Projektleitung der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt. „Diese Solidarität ermutigt viele Menschen, deren Leben durch Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt für immer beeinträchtigt ist, nicht aufzugeben und sich gemeinsam zur Wehr zu setzen.“

Die Mobile Opferberatung und der VBRG e.V. bitten daher um Spenden für die Überlebenden Aftax I. und İsmet Tekin, um die materiellen Konsequenzen der BGH-Entscheidung und der anhaltenden Tatfolgen abzumildern.

Spendenkonto:

Empfänger VBRG e.V.
Verwendung: Opferfonds/ Halle (Saale) 2019,
IBAN: DE38 4306 0967 1177 901301, BIC: GENO DE M1 GLS (GLS Bank)
Spenden sind steuerlich absetzbar.

Für Rückfragen und weitere Informationen:

Zissi Sauermann, „Mobile Opferberatung. Unterstützung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ bei Miteinander e.V.:
E-Mail: sauermann(at)mobile-opferberatung.de
Web: www.mobile-opferberatung.de

Hintergrund:

BGH Beschl. v. 22.03.2022, Az. 3 StR 270/21

Prozessdokumentation: https://verband-brg.de/dokumentation-der-schlussworte-im-halle-prozess-hoert-den-ueberlebenden-zu/

Pressemitteilung als Download: Pressemitteilung von VBRG und Mobile Opferberatung vom 14.04.2022

Press Release English Version: Press Release VBRG and MOB from 14.04.2022 (English)