Stellungnahme zum Entwurf des Demokratiefördergesetzes

Der Vorstand des VBRG e.V. sowie seine Mitgliedsorganisationen im gesamten Bundesverband begrüßen die Initiative für ein Demokratiefördergesetz. Die fachspezifischen, spezialisierten Gewaltopferberatungsstellen im Kontext von Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus unterstützen mit langjähriger Erfahrung und großen Expertise jährlich hunderte Betroffene und Überlebende rechter Gewalttaten und Attentate: kostenlos, vertraulich, vor Ort, parteilich im Sinne der Betroffenen und auf Wunsch auch anonym.

Der nunmehr vorliegende Referentenentwurf für ein Demokratiefördergesetz soll auch die Arbeit der spezialisierten Opferberatungsstellen stärken und langfristig absichern. Parteiübergreifend hatten SPD, FDP, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen schon in 2013 den Ausbau und die langfristige Absicherung der fachspezifischen Opferberatungsstellen im Abschlussbericht des ersten NSU-Untersuchungsausschusses der 17. WP des Deutschen Bundestages empfohlen.[1] Wörtlich stellten die Abgeordneten in ihren Empfehlungen an die Exekutive und Legislative fest:

„In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass die professionelle Unterstützung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt – wie sie durch die Opferberatungsstellen in freier Trägerschaft geleistet wird – unverzichtbar ist. (…) Der Ausschuss spricht sich mit Nachdruck für eine Neuordnung der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus aus, die für Verlässlichkeit sorgt und Planungssicherheit bietet. (…) Die dafür gewählte Organisationsform muss aus Sicht des Ausschusses eine Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Initiativen an der Entwicklung der Förderkonzepte gewährleisten.“ [2]

Der nunmehr vorliegende Referentenentwurf zum DFördG von BMFSFJ und BMI muss daher aus unserer Sicht in zentralen Punkten überarbeitet werden:

  • Der Gesetzesentwurf muss die fachspezifischen Opferberatungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im Gesetz eindeutig benennen.
  • Die uneindeutige und irreführende Bezeichnung im vorliegenden Referentenentwurf „Opfer von politisch und ideologisch motivierter Gewalt“ soll zugunsten der klaren und eindeutigen Begrifflichkeit „Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie Ideologien der Ungleichwertigkeit“ ersetzt werden.
  • Beteiligung und Mitbestimmung der Zivilgesellschaft müssen im Sinne des Subsidiaritätsprinzips verbindlich geregelt werden.
  • Im Gesetz muss ein klarer Bezug zur EU-Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU sowie weiteren Schutznormen hergestellt werden, mit denen sich die Bundesregierung zum Schutz der universellen Menschenrechte verpflichtet hat.
  • Der Gesetzesentwurf muss eine dauerhafte und langfristige Finanzierung der Arbeit der spezialisierten Opferberatungsstellen sowie des Dachverbands VBRG e.V. mit einer Mindestlaufzeit von zehn Jahren benennen.

Stellungnahme des VBRG e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung (Demokratiefördergesetz/DFörderG)

Im Folgenden werden konkrete Vorschläge für Änderungen am Gesetzestext vorgelegt:

§1 Anwendungsbereich

Nr. 1: Ergänzung um internationale Verpflichtungen:

„(…) der Normen und Werte des Grundgesetzes, der weiteren europäischen und internationalen grund- und menschenrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik und zur Erhaltung (…)“

  1. Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet internationale Grund- und Menschrechte sowie die europäischen Verpflichtungen zu wahren und umzusetzen. Auch in der Problem- und Zielbeschreibung des Gesetzesentwurf wird zurecht darauf verwiesen, dass die Phänomene international auftreten, daher muss ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden um im Einklang mit internationalen sowie europäischen Verpflichtungen die Phänomene in diesem Sinn zu bearbeiten.
  2. Die EU-Opferschutzrichtlinie – Richtlinie 2012/29/EU –, die 2012 durch das EU-Parlament angenommen und 2015 in allen Mitgliedstaaten in Kraft getreten ist, verpflichtet die Bundesregierung dazu, die Rechte von Opfern von Straftaten erheblich zu stärken. Dazu gehört auch die Verpflichtung der Bundesregierung den Zugang zu unabhängigen professionellen und fachspezifischen Beratungsstellen zu erleichtern und auszubauen. Aus der EU-Opferschutzrichtlinie ergibt sich auch die Notwendigkeit den Opferschutz und die Finanzierung der spezialisierten Opferberatungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sicherzustellen (insbesondere Art.8 Nr.1-5) [3]. Um diesen internationalen Anforderungen gerecht zu werden, muss in §1 ein klarer Bezugsrahmen geschaffen werden.
  3. Die internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik, z.B. durch die Europäische Menschenrechtskonvention, die Europäischen Grundrechtecharta und Menschenrechtsabkommen der UN wie ICERD, sollten als normativer Rahmen und Grundlage in das Gesetz aufgenommen werden.
Nr. 2: Der Begriff „jegliche Form von Extremismus“ sollte gestrichen werden.

(…) zu Erhaltung und Stärkung der Demokratie, zur politischen Bildung, zur Prävention von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, zur Beratungs- und Ausstiegsarbeit sowie zur Gestaltung von gesellschaftlicher Vielfalt und Teilhabe“

  1. Der Extremismusbegriff ist primär ein Begriff der Sicherheitsbehörden und auf diesen Bereich soll laut §1 Anwendungsbereich (Abs. 3) das Gesetz keine Anwendung finden. Insbesondere der Zusatz „jegliche Form von…“ unterstreicht wie vage und ungenau das Konzept ist. Viel sinnvoller ist es daher – wie in unserem Vorschlag – konkret zu benennen, auf welche Anwendungsfälle sich das Gesetz bezieht. Der Begriff sollte daher an allen Stellen im Gesetz gestrichen werden.
  2. Die Aufzählung muss ferner um die Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bzw. den Aspekt der Beratungsarbeit im Allgemeinen ergänzt werden. Da zwar Maßnahmen für „Opfer“ rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im weiteren Verlauf des Gesetzestextes Erwähnung finden (§2 Nr. 7 sowie auf Seite 14 Gesetzesentwurf), die zivilgesellschaftlichen Opferberatungsstellen aber nicht genannt werden. (Dies gilt auch für den Bereich der zivilgesellschaftlichen Mobilen Beratungen sowie Melde- und Informationsstellen).
  3. Mit der Nennung der Beratungsarbeit in §1 positionieren sich die Gesetzgeber solidarisch an die Seite der Betroffenen und machen deutlich, dass der Staat mithilfe langfristig geförderter Projekte die Verantwortung im Sinne der EU-Opferschutzrichtline für ein langfristiges und unabhängiges und fachspezifisches Beratungsangebot für direkt und indirekt Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie Attentate übernimmt.
  4. Nachdem der Gesetzgeber bereits den Strafzumessungsparagrafen §46 Abs. 2 Satz 2 StGB bei „rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Straftaten“ geschärft hat, muss diese eindeutige Benennung nunmehr auch durch das Demokratiefördergesetz erfolgen. Dies auch und insbesondere vor dem Hintergrund das täglich mindestens drei bis vier Menschen aus rechten, rassistischen oder antisemitischen Motiven angegriffen und Opfer einer politisch rechts motivierten Gewalttat im Sinne des PMK-Kriterienkatalogs [4] werden. Allein 19 Menschen starben seit 2019 bei rechtsterroristisch, rassistisch und antisemitisch motivierten Attentaten und Gewalttaten. Die Anzahl der von rechten, rassistisch und antisemitischen motivierten Gewalttaten direkt und indirekt Verletzten seit der Wiedervereinigung beläuft sich – selbst wenn ausschließlich die PMK-Rechts Statistiken des Bundeskriminalamtes zugrunde gelegt werden – auf mehrere 10.000 Menschen.

§2 Gegenstand der Maßnahmen 

Nr. 7 sollte heißen:

(…), die Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie Ideologien der Ungleichwertigkeit im gesamten Bundesgebiet beraten, begleiten und unterstützen (…)

  1. Dem Tenor des Gesetzes nach wird deutlich, dass die beschriebenen Maßnahmen im Gesetzesentwurf nicht auf allgemeine und unspezifische Beratung von Betroffenen „politischer oder sonstiger ideologischer Gewalt“ abzielt (siehe Begründung auf Seite 14 zu §2 Nummer 7). Daher muss der Gegenstand der Maßnahme in §2 Nr. 7 klar beschreibbar und eingrenzbar sein. Unsere vorgeschlagene Formulierung bringt die notwendige Klarheit.
  2. Ferner ist die im Gesetz genutzte Formulierungen „politisch und ideologische Gewalt“ in der Praxis zu unspezifisch. Der Begriff „politisch“ suggeriert eine gefestigte politische Praxis sowie einen relativ hohen Grad an Organisiertheit bei den Täter*innen. Der Begriff „ideologisch“ impliziert zusätzlich eine gefestigte Einstellungs- sowie Wertebasis, die oft mit einer politischen Organisiertheit einhergeht. Aus der Forschung sowie professionellen Beratungspraxis wissen wir jedoch, dass rechte Gewalt auf unterschiedlichen sowie intersektional verschränkten ideologischen Versatzstücken – Ideologien der Ungleichwertigkeit – basiert. Die im Gesetz vorgeschlagene enge Formulierung könnte daher zu einer Exklusion von Ratsuchenden in der professionellen Beratungspraxis führen.
  3. Die EU-Opferschutzrichtlinie – Richtlinie 2012/29/EU –, die 2012 durch das EU-Parlament angenommen und 2015 in allen Mitgliedstaaten in Kraft getreten ist, verpflichtet die Bundesregierung dazu die Rechte von Opfern von Straftaten erheblich zu stärken. Dazu gehört auch die Verpflichtung der Bundesregierung den Zugang zu unabhängigen professionellen und fachspezifischen Beratungsstellen zu erleichtern und auszubauen. Insbesondere für Opfer mit „besonderen Schutzbedürfnissen“ nach Art. 22 Nr. 3 EU-Opferschutzrichtlinie. Mit klarer Benennung des Gegenstandes der Maßnahme im Sinne der Beratung Betroffener rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in dem DFördG würde der Gesetzgeber dieser europäischen Verpflichtung beikommen.

§4 Förderung von Maßnahmen Dritter

Nr. 1 soll ergänzt werden

„Die Dauer der Projektförderung beträgt drei bis fünf Jahre, die Dauer einer längerfristigen Förderung beträgt fünf bis zehn Jahre“

  1. Die fachspezifischen unabhängigen Gewaltopferberatungsstellen haben sich seit ihrer Gründung vor 20 Jahren für eine langfristige Absicherung zivilgesellschaftlicher Beratungsstrukturen durch eine entsprechende gesetzliche Regelung eingesetzt. Denn sie wissen aus Erfahrung, dass die von ihnen unterstützten direkt und indirekt Betroffenen von Angriffen, Bedrohungen, Brandanschlägen und rechtsterroristischen Attentaten auf langfristige zivilgesellschaftliche Beratungsstrukturen angewiesen sind. Betroffene und die sie unterstützenden Beratungsstellen begreifen ein Demokratiefördergesetz als ein wichtiges Signal staatlicher Solidarität: mit denjenigen, die durch den Tod von Angehörigen, durch teilweise lebenslangen Verletzungsfolgen oder durch den Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenz nach rassistisch, antisemitisch oder rechts motivierten Gewalttaten und Attentaten von der flächendeckenden Bedrohung durch Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus am stärksten betroffen sind. Daher muss die Förderung der spezialisierten Gewaltopferberatung langfristig erfolgen.
  2. „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Opfer ihrem Bedarf entsprechend vor, während sowie für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens kostenlos Zugang zu Opferunterstützungsdiensten erhalten, die im Interesse der Opfer handeln und dem Grundsatz der Vertraulichkeit verpflichtet sind.“  (EU-Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU Art.8 Nr. 1). Aus der EU-Opferschutzrichtlinie ergibt sich die Notwendigkeit, den Opferschutz und die Finanzierung der spezialisierten Opferberatungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, deren Wirksamkeit nicht zuletzt 2021 in einer umfassenden wissenschaftlichen Evaluation durch das Deutsche Jugendinstitut (DJI) nachgewiesen wurde,[5] langfristig zu finanzieren.
  3. Parteiübergreifend hatten SPD, FDP, CDU/CSU und Bündnis 90/DIE Grünen den Ausbau und die langfristige Absicherung der Opferberatungsstellen bereits im Abschlussbericht des ersten NSU-Untersuchungsausschusses der 17. WP des Deutschen Bundestages empfohlen.[6]: Wörtlich heißt es dort u.a.: „Der Ausschuss spricht sich mit Nachdruck für eine Neuordnung der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus aus, die für Verlässlichkeit sorgt und Planungssicherheit bietet. Er schließt sich insofern der dringenden Empfehlung der Sachverständigen Prof. John und Schellenberg an. Die dafür gewählte Organisationsform muss aus Sicht des Ausschusses eine Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Initiativen an der Entwicklung der Förderkonzepte gewährleisten“ (BT-Drs. 17/14600, S.866f. https://dserver.bundestag.de/btd/17/146/1714600.pdf )

[1] Vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 866f., https://dserver.bundestag.de/btd/17/146/1714600.pdf
[2] ebd.
[3] Richtlinie 2012/29/EU, https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:315:0057:0073:DE:PDF
[4] Zum Ausmaß und Monitoring von PMK Rechts Gewalttaten: https://verband-brg.de/rechte-rassistische-und-antisemitische-gewalt-in-deutschland-2021-jahresbilanzen-der-opferberatungsstellen/
[5] vgl. DJI 2020
[6] Vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 913f